Nichts, woran die Stimme sich festhalten könnte, keine harmonische Stütze, kein Melodieinstrument. Das erfordert Mut, Konzentration und Kontrolle. Masha Bijlsma kann das. Ihr unbegleiteter Einstieg in den zarten Song „Tender as a Rose“, begleitet nur vom weich streichelnden Schlagzeug ihres Vaters Dries Bijlsma, sorgt unmittelbar für Gänsehaut. Die niederländische Sängerin verfügt über eine variable Stimme von beachtlichem Umfang, natürlichem Timbre und unaufgeregter Souveränität sowie reichlich Luft und Spielraum nach oben. Ihr warm klingender Alt zeichnet sich aus durch hochgradige Intonationssicherheit, sicheres Timing und gekonnte Phrasierung, auch dann, wenn jede instrumentale Stütze fehlt. Das Repertoire widmet sich dem Erbe ihres großen Vorbilds Abbey Lincoln, der sie sich in ganz besonderer Weise verbunden fühlt: „Song for Abbey“. Die 2010 im Alter von 80 Jahren verstorbene US-Amerikanerin gilt als politisch bewusste, sehr wache und engagierte Sängerin von großer Bedeutung für den modernen Jazz. Bijlsma übernimmt von Lincoln unmittelbar deren nur vordergründig unspektakülären Ansatz, die Quintessenz der Songs und ihrer Texte für sich selbst sprechen zu lassen, konsequent, intensiv und eindrücklich: „Bird Alone“. Unterstützt wird sie dabei nicht nur von Dries Bijlsmas sachtem Fingerspitzengefühl am Schlagzeug. Auch der wieselflinke pianistische Tausendsassa und gefühlvolle Tastenstreichler Martin Sasse am Bösendorfer und der mit markantem Pizzicato und kraftvollem Sound agierende Bassist Ruud Ouwehand tragen zum dezenten, flüssigen Groove der Band reichlich Substanz bei. Masha Bijlsma zur Seite steht mit Bart van Lier ein Solist der Sonderklasse. Die beiden spielen sich die Bälle nur so zu, Stimme und Instrument in lebendigem Wechsel der Präsenz: „Talking to the Sun“. Bart van Lier überrascht immer wieder mit erstaunlich wendiger Virtuosität an der Zug- wie an der eher seltenen Ventilposaune. Sein Sound ist seidenweich und gelöst, eine eigenständige Singstimme auf dem Instrument. Masha Bijlsma dagegen setzt ihre Stimme immer wieder auch instrumental ein, beherrscht die seltene Kunst des Scatgesangs, der aus Fantasiesilben Melodien ohne Worte formt. Das ist Gesangskunst auf höchstem Niveau und spätestens bei Abbey Lincolns a capella dargebotenem „Throw It Away“ ist der Schauer perfekt.