Mary Halvorson Trio | 04.04.2011

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Seit über einem Jahrzehnt gaben Europa und der Rest der Welt die Richtung vor, und New York musste tatenlos zusehen, wie sich die moderne Musik weiterentwickelte. Die Stadt, in der angeblich das Herz des Jazz schlägt, hatte ihre Strahlkraft verloren. Doch manchmal braucht es solche selbstreinigenden Prozesse. Seit kurzem nämlich keimt wieder Abenteuerlust im Big Apple. Eine neue Musikergeneration schickt sich an, alte stilistische Mauern niederzureißen. Mitten drin im kreativen Auge des Hurrikans: die Gitarristin Mary Halvorson, nun zum ersten Mal mit ihrem Trio im Neuburger „Birdland“.

Wie sie so dasitzt im Kellergewölbe der Hofapotheke, zart, schüchtern, mädchenhaft, eine Mischung aus College-Studentin und Martina Schwarzmann, mutet es geradezu absurd an, in dieser Frau die Zukunft der Jazz-Gitarre sehen zu wollen. Doch die vielen Gesichter, die kreativen Aromen der Mary Halvorson offenbaren sich innerhalb der nächsten 90 Minuten auf ebenso geheimnisvolle wie faszinierende Weise.

Mit dem Bassisten John Hébert und dem Drummer Cees Smith torpediert sie alle gültigen Reinheitsgebote des Genres. Das Spiel der 30-Jährigen aus Boston, die vor neun Jahren nach Brooklyn zog, klingt stets wie der Dialog zwischen einer akustischen und einer elektrischen Gitarre. Mal zupft sie zärtliche, balladeske Miniaturen, die an Countrysongs erinnern, um dann mit einem einzigen Griff auf splittrige Kamikaze-Glissandi zu wechseln.

Ein vermeintlicher Irrweg, aus dem sie immer wieder herrlich unlogische Auswege findet. Mit harter Attacke und klarem Ton, ohne diesen jazztypischen murmeligen Unterwassersound, das leichtfertige Virtuosengeplinker oder streng eingezäunte Harmonievorgaben generiert Halvorson eine völlig eigene, frische Sprache. Außerhalb des Clubs tobt ein Event namens „Night Groove“, drinnen gibt es eine Art Anti-Groove von der Anti-Gitarristin per se. Ihr bauchiges Vollresonanzmodell, eine Guild Artist Award, Herstellungsjahr 1970, muss dabei eine Menge aushalten: feinstes Fingerpicking, dreckiges Zerren, rüdes Dreschen, durch das Hin- und Herschalten mit einem Delay-Fußpedal eiernde und in verschiedene Richtungen ausbeulende Töne.

Ihre Titel sagen alles über den Inhalt. „Too Many Ties“ oder „Cold Mirrors“ sind grau-neblige Roadmovies in einer anti-nostalgischen, klaustrophobischen Grundstimmung, durchnummerierte Songs von der Qualität kleiner Suiten. Die Tagebuchmusik einer der interessantesten Gitarristinen der Gegenwart.