Martin Wind Trio feat. Peter Weninger | 26.11.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der Begriff „Familie“ steht für Harmonie, Einverständnis und Reibung. Eigentlich wie geschaffen für das kantige Genre des Jazz. Aber suggeriert der Bassist Martin Wind gerade bei einem eher konfliktbeladenen Pianotrio nicht vielleicht sogar zu viel der trügerischen Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung, wenn er diesem im Neuburger „Birdland“ ausgerechnet den Projektnahmen „Family“ verleiht?

Klar: der seit 1996 in New York lebende Flensburger sucht die Wärme einer intakten Gemeinschaft, um seinem Traum von großer, vielseitiger Musik möglichst schnell möglichst nahe zu kommen. Seelenverwandte, Freunde, mit denen ein Austausch lohnt, Partner, Beschützer und Lehrer, die einem Tricks und Kniffe zeigen, manchmal auch ein wenig Ernährer: sein Trio, das in Neuburg ein weiteres „Familienmitglied“ dazubekam, erfüllt all diese Kriterien nahezu perfekt. Ein paar Streicheleinheiten von Bruder Martin am Bass, ein wenig Humor und Virtuosität von Benjamin Matt Wilson am Schlagzeug, etwas Großzügigkeit von Papa Bill Mays am Piano sowie ein bißchen Lebenslust von Adoptivsohn Peter Weniger, einem der besten deutschen Saxofonisten der Gegenwart. Das bedeutet: mehr als nur ein Löffelchen des feinsten zeitgenössischen Jazz für ein hochzufriedenes Publikum.

Die Sippe monologisiert nicht etwa egoistisch herum, schreit den anderen gnadenlos nieder oder klinkt sich einfach aus dem Verbund aus. Hier wird vielmehr pausenlos diskutiert, mitunter kontrovers, aber jederzeit konstruktiv und kreativ. Meist betätigt sich der erfahrene Mays an den Elfenbeintasten als Wortführer, wirft ebenso spannende wie provokante Thesen in die Runde. Mal monkisch („Let`s Call This“), dann wieder bluesig, funkig, mit herrlichen Stride-Zitaten oder nachdenklich (in grandioser Klangfarbenpracht strahlen „Gemma`s Eyes“ und „Kaleidoskop“) lässt er genügend Raum für gegenteilige Meinungen. Um die integrative Kraft eines solchen Pianisten würde den Clan jede andere Jazzfamilie beneiden.

Dann das freche, aber mit viel Hintersinn vorgetragene Geplapper von Matt Wilson am Drumset. Wie auf einer Spielwiese baut der Shootingstar verblüffende Rhythmusfiguren zusammen und liefert – erst im Nachhall hörbar – mit den Sticks frappierende Melodielinien. Sein „Free Range Chicken“ oder Ellingtons „Answers in Love“, bei der er mit den Besen wie ein Tap-Dancer über die Felle steppt: absolute Glanzleistungen des modernen Jazz-Entertainments. Die intelligent strukturierten Einwürfe des Martin Wind, sein pastellhaftes Arcospiel, das auf einem solchen Level allenfalls noch Altmeister Ray Brown erreicht, sowie dessen reife Kompositionen („The Last Waltz“) scheinen für einen lebendigen Diskurs an der musikalischen Tafelrunde ebenso unverzichtbar, wie die kecken Zwischenrufe Peter Wenigers.

Der Hamburger weiß genau, wann er ausschweifen kann oder sich dezent zurückzunehmen hat. Am Sopransax bläst er die Weisheiten eines ganzen Jahrhunderts durchs Horn, verschweißt die Phonetik von Bechet und Coltrane mit Feuer, Glut und Leidenschaft. Auf dem Tenor dagegen knüpft er luftige Soundgirlanden und beantwortet launig alle Fragen, noch bevor sie überhaupt gestellt werden. Was diese verschworene Gemeinschaft auseinanderdividieren könnte, wäre höchstens mal ein Seitensprung. Aber warum fremdgehen, wenn`s zuhause derart prächtig läuft?