Martin Sasse Trio, feat. Peter Bernstein | 17.01.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

So funktioniert Jazz,  wenn er in erster Linie konsumiert werden will. Er trudelt und treibt ziellos durch den Raum, streift hin und wieder das Publikum, aber nicht allzu brachial. Wie Mainstream sich eben bewegt, wenn er nirgends anecken will, wenn er über keine feste Basis und kein zwingendes Zugmoment am anderen Ende verfügt.

Es sind diese Konzerte, an denen es nicht wirklich etwas auszusetzen gibt, die einen aber auch nicht wirklich packen. Und bei denen die Zuhörer eine ganz entscheidende Rolle spielen: Nämlich die des distanzierten Endverbrauchers. Wie sonst kann es passieren, dass sich für den überaus talentierten Kölner Pianisten Martin Sasse und den gefeierten New Yorker Gitarrenkönig Peter Bernstein vor allem im ersten Set ihres Gastspiels im voll besetzen Neuburger „Birdland“-Jazzclub nach durchaus anständigen Soli keine Hand rührt? Die freundliche, im Jazz längst übliche Geste, dem Musiker mitten unterm Stück Anerkennung für seine Leistung zu zollen, unterbleibt an diesem Abend erstaunlich oft. Stattdessen Tischgespräche, Lachen; Swing als akustische Tapete, als leise Berieselung zum Riesling: Ein unangenehmes Gefühl.

Dies muss die Band gespürt und mächtig geärgert haben, denn in der zweiten Halbzeit“ verändern sich die Koordinaten. Plötzlich raut Bassist Henning Gailing seine zuvor butterweichen Walkinglinien auf, verlegt sich Drummer Hendrick Smock auf rhythmische Raffinessen, während Sasse die Krallen ausfährt. Der erfahrene Studiomusiker, dessen Dienste Chris De Burgh, Nina Hagen, Guildo Horn, Jennifer Rush und andere in Anspruch nahmen, zeigt jetzt nicht nur körperlich Statur. Aus der zuvor gefällig sprudelnden Quelle schießt plötzlich ein reißender Wildbach. Der 34-Jährige legt sein feines Gespür für Melodien offen, setzt jene kleinen Brüche, die Musik spannend machen.

Auf einmal ist auch das Publikum da. „Groove Machine“, ein deftiger Souljazz-Fußwipper, klingt mächtig erdverbunden. Selbst bei der Ballade „Nightbirds“, die alle Attribute eines flauschigen Lullabys locker abschüttelt, knacken unaufhörlich die Breaks. Dazwischen schiebt sich immer wieder Peter Bernstein mit seinen sensationellen bluesgetränkten Läufen, seiner unnachahmlich fließenden Klangwirkung und einer unaufdringlich erhabenen Eleganz, die ihm einst der große Attila Zoller vermittelte. Im kargen Lineup des Sasse-Trios entfaltet sich der Saitenzauber des smarten Amerikaners erst zu voller Pracht.

Der Schlussakkord namens „The Modal Thing No. 2” steht exemplarisch für die erstaunliche Trotzreaktion der Vier, die nun wie eine im modalen Jazz der 60er Jahre gereifte Hardbop-Combo klingen. Wenn Sasse, Bernstein und Co. jede Note, jede Pause in eine improvisatorische Zentrifuge werfen, alles anspitzen, das klinisch Reine, Sterile lustvoll beschmutzen, dann gehen mit einem Mal Regenbogen auf, wird aus einem brave n akustischen Ambiente endlich die erhoffte mitreißende Session.

Eines beweisen freilich auch Gigs wie dieser: Das Leben eines Jazzmusikers ist kein Zuckerschlecken. Der Weg ins Paradies führt nur über staubige, unbefestigte Seitenwege. Die eigentliche Kunst besteht darin, die Menschen dorthin zu locken und sie davon zu überzeugen, dass es dort allemal aufregender, spannender zugeht, als auf den glatten, asphaltierten Hauptstraßen.