Martial Solal Trio | 08.03.2003

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Wer da glaubt, Innovation sollte man einfach nur den Jungen überlassen, der irrt gewaltig. Wer das Konzert von Martial Solal im Birdland Jazzclub miterleben durfte, konnte sich mit eigenen Augen und Ohren überzeugen, welche kreative Kraft zur Erneuerung aus den Händen eines 75jährigen in die 88 Tasten des Bösendorfers floss. Die pianistische Gallionsfigur, deren Bedeutung für den europäischen Jazz kaum überschätzt werden kann, gab ein Konzert, dessen Esprit und virtuose Präsenz noch lange nachhallen werden in Neuburgs Jazzkeller.
Man nehme die virtuose Flüssigkeit Art Tatums, mische sie mit dem sperrigen Eigensinn Thelonious Monks, füge jede Menge französischen Charme, die Erfahrung aus 50 Jahren pianistischer Neulandfahrt und die Neugier auf’s dritte Jahrtausend zu, schmecke das Ganze mit harmonischer Finesse und subtiler rhythmischer Differenzierung ab, lasse das Resultat zwischen den Ecken eines offen kommunizierenden Trios rollieren und fertig ist eine der aufregendsten Köstlichkeiten, die der Jazz unserer Tage zu bieten hat.

Martial Solals Repertoire an Einfällen und Ideen scheint unerschöpflich, unmittelbar teilen sich seine sprudelnden Geistesblitze den Tasten mit, stehen Herz und Hirn und Hände in atemberaubend spontaner Verbindung und im direkten Kontakt zum Noch-nicht des nächsten Augenblicks, den zu füllen dem Menschen Phantasie und Kreativität geschenkt sind. Offenheit für Neues ist hier keineswegs das Vorrecht der Jugend, mit dem Alter haben weder Sorge noch Bequemlichkeit die Überhand gewonnen. Vielmehr wuchs offenbar der emotionale wie intellektuelle Hintergrund, der so manches Abenteuer erst zur richtigen Genussreife bringt.

Die schier stupende Technik des stilbildenden Piano-Patriarchen ist seit den 50ern Legende; sie live zu erleben lässt den Zuhörer aus dem Staunen nicht heraus kommen. Da wird der „Tea For Two“ zum Kaleidoskop eines Kindes, das Bauklötze staunt ob der Mannigfaltikeit der Formen. Als Improvisateur wie als Komponist sucht Solal seinesgleichen, sein „New Piece“ bietet bei allem Führungsanspruch des Pianos nirgends solistische Eigenbrötlereien, sondern hellwache offene Kommunikation in interaktiver Lebendigkeit und höchster Konzentration. Der filigran agierende Mads Vinding am Bass legt in jeden Ton Liebe und Sorgfalt, John Riley am Schlagzeug wechselt ja nach Erfordernis zwischen Rhythmus und Melodiespiel, setzt Akzente, nimmt auf, führt weiter, was der Maestro am Piano vorgibt. So verwirklicht sich ein wahres „Triangle“ der Kommunikation zu einer selten erlebten Dichte des Zusammenspiels.

Mit dem Martial Solal Trio reihte sich als Nr. 69 eine weitere Kronjuwele ein in das an Pretiosen wahrlich nicht arme Diadem der Art Of Piano Reihe des Birdland, das diesbezüglich inzwischen über ein zumindest in Europa einzigartiges Gästebuch verfügen dürfte.