Gerard Presencer Group | 14.03.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Denkste! Kein „Funky, funky, funky“, weswegen es unter Garantie die allermeisten an diesem Abend in den Neuburger „Birdland“-Jazzclub gezogen hat. Dafür gibt es seltsam einfallslose, heruntergezählte Titelnamen: „No. 1“, „No. 2“, „No. 3“…

Wer deshalb gleich irgendwelche sinnleeren Avantgardeprojekte oder gar einen Freejazz-Kollateralschaden vermutet, der kennt Gerard Presencer wirklich bloß von „Cantaloop“, dem größten Jazzhit der Musikgeschichte her, mit dem die Remix-Gruppe US3 vor genau zehn Jahren Radiostationen und Diskotheken in aller Welt eroberte. Die Nummernarrangements sind vielmehr knackig groovende, aber dennoch fein strukturierte, manchmal sogar brillant improvisierte Tunes. Eine eigenwillige, charmant provozierende Form von modernem Fusion. Und irgendwie dennoch unwiderstehlich „funky, funky, funky“.

Für einige Stammgäste freilich durchaus gewöhnungsbedürftig, nicht nur wegen des E-Basses von Robin Mullakey sowie der Fender Rhodes- und Synthesizer-Türme, hinter denen sich Rob Taggart verschanzt, während der edle Bösendorfer-Flügel unbeachtet in der Ecke steht. Auch die Lautstärke schmerzt eingefleischte Mainstream-Fans, obwohl die doch bloß die gut gemeinte, launige Warnung im Programm hätten lesen müssen, in der es heißt, dass „die Freunde der Jazzpolizei heute leider draußen bleiben müssen.“

Denn der 31-jährige Presencer ist ein Jazzer, der höchstens teilweise in die traditionellen Schuhe passen will. Ein Trompeter, der sich barrierefrei zwischen Chet Baker (den er als Vorbild nennt) und Robbie Williams (für den er auf dessen Megaseller „Swing when you`re winning“ spielte), zwischen Lee Morgan (dessen Tongebung er perfekt adaptiert) und Charlie Watts (den Rolling Stones-Drummer, dessen Jazz-Quartett er leitet) hindurch laviert.

Es scheint augenfällig, dass ausgerechnet auf diesem Instrument viele Nachwuchshoffnungen dem klassischen Fingerschnipp-Swingideal Ade sagen. Sie lassen sich viel lieber schwerelos-verhallt durch mächtige Rockeruptionen, angereichert mit Clubmusikanklängen und mystischen, lyrischen Elementen, treiben. Till Brönner tut dies seit geraumer Zeit mit großem Erfolg, Tim Haggans, Eric Vloeimans, Erik Truffaz und neuerdings sogar Roy Hargrove bewegen sich in ähnlichen Erfahrungswelten.

Dass den Grundstein dafür Miles Davis in den 70er Jahren legte, ruft vor allem Presencers junge Band im fast ausverkauften „Birdland“ nachhaltig in Erinnerung. Auf dem flatternden, schnellen Beat von Drummer Chris Dagley legt der fantasievolle Rob Taggart futuristische Keyboardsplitter aus dem Londoner Underground. Der kunstvolle Partikelstrom aus düsterer Rhythmik und flirrenden Harmonien lässt Presencers mal ruhig erzählendes, mal beißend aggressives Flügelhorn wie einen Sonde auf einer Mission in ein anderes Universum erscheinen.

In seinen besten Momenten klingt der gereifte Presencer so kraftstrotzend, zäh und machohaft wie der junge Freddie Hubbard. Dessen Selbstdemontage vom vergangenen September im Ingolstädter Audi-Forum noch in den Ohren, wird einem schlagartig bewusst, dass auch der vielleicht technisch beste Trompeter des Jazz einmal mit Elektronik, Fusion und Grenzüberschreitungen zu neuen Ufern aufbrechen wollte. Als die Zeiten noch „funky, funky, funky“ waren und der reine Jazz wegen seiner mangelnden Verdienstmöglichkeiten nur mehr eine Art Steigbügelfunktion besaß. Wo die Parallelen zur Gegenwart liegen, wissen US3, Robbie Williams und Gerard Presencer am allerbesten.