Unterschiede zu ihrem bislang letzten Auftritt im Birdland gibt es einige. Damals, im November 2019, als niemand vorhersehen konnte, mit welchen zeitgeistigen Verwerfungen wir kurz darauf konfrontiert werden würden, da agierte Marta Sanchez noch unbeschwert, frei und voller Elan. Bei ihrer Rückkehr nun, knapp zweieinhalb Jahre später, hat sich nicht nur ihre Haarfarbe verändert und der allgemeinen Stimmung angepasst. Bei ihrem Neuburg-Debüt noch blond, kommt die in New York lebende spanische Pianistin, Komponistin und Bandleaderin jetzt ganz in schwarz. Und generell verströmen ihre neuen Kompositionen, aber auch der Vortrag ihres Quintetts am letzten Tag ihrer Europatournee eine gewisse Erschöpfung und Traurigkeit. Gut möglich, dass der Putin-Krieg auch bereits diesen Bereich der Kultur erreicht hat.
Es ist das dritte Konzert in Folge nach den Gastspielen von Lisa Wulff sowie Gee Hye Lee, mit dem der Birdland Jazzclub dem diesjährigen Weltfrauentag Rechnung trägt. Sanchezʼ Stücke besitzen dabei Namen wie „The Unconquered Vulnerable Areas“ (Die unbesiegten gefährdeten Gebiete), „The Eternal Stillness“ (Die ewige Stille), „The Hard Balance“ (Das schwierige Gleichgewicht) oder „When Dreaming Is The Only“ (Wenn Träume die einzige Möglichkeit sind). Schwere Kost, diesmal auch nicht unbedingt leicht serviert, politisch per se, zuweilen sogar hochaktuell. Die zierliche Frau aus Madrid sitzt am Klavier und sorgt in ihrer Wahlheimat New York mit ihren mutigen, bewusst unpopulären Kompositionen, die ein hohes Maß an Beherrschung des eigenen Instrumentes und jede Menge Einfühlungsvermögen erfordern, für Aufsehen unter Kolleginnen und Kollegen sowie in den Medien. Doch was bei ihrem ersten Gastspiel im Hofapothekenkeller noch prächtig funktionierte, nämlich das Spiel mit Kontrasten, mit Gegensätzen, die sich wie Plus- und Minuspole magisch anziehen, das klemmt diesmal. Was vor allem an den beiden Bläsern liegt, dem kubanischen Tenorsaxofonisten Roman Filiú und dem amerikanischen Altsaxofon-Kollegen Alex LoRe.
Die eigenartige Stimmführung der Sanchez-Arrangements, bei der sich die beiden lauernd umkreisen, umtänzeln und ihre Linien miteinander zu verschlingen versuchen, mutet diesmal eher wie ein Konkurrenzkampf an, ein konfrontativer Klang, dessen Zusammenspiel im Ohr wie zerbrechendes Glas ankommt; scharfkantig, schrill, schmerzhaft. Filiú scheint der Reifere der beiden zu sein, schlägt immer wieder lyrische Schneisen in den Skalenwald, kann ihm aber letztlich doch nicht entfliehen. Das ständige Drehen und Schrauben am Kontrapunkt strengt auf die Dauer an, strapaziert die Konzentrationsfähigkeit und wirkt in letzter Konsequenz auch irgendwie uninspiriert.
Es gibt aber Momente an diesem Abend, da ziehen sich die beiden Bläser an den äußersten Bühnenrand zurück, und zwischen Marta Sanchez, dem Bassisten Pablo Menares und Schlagzeuger Jimmy McBride beginnt ein herrlich treibendes, flirrendes, knisterndes Pianotrio zu rollen. Besonders ins Gedächtnis brennt sich dabei die musikalische Widmung, die Sanchez für ihre Mutter schrieb („December 11th“), die während des ersten Lockdowns 2020 in ihrer Heimat starb. „Und ich konnte nicht einmal zur Beerdigung fahren“, öffnet die Pianistin ein Fenster zu ihrer Seele. Hier gelingt es der Spanierin tatsächlich, ihren Schmerz, ihre ganze Trauer und ihre Verzweiflung in wunderbare Notengebilde zu gießen. Marta Sanchez ohne Bläser: Dies wäre diesmal die eindeutig bessere Option gewesen.
So jedoch endet das Konzert mit einem lähmenden Gefühl. Die Musiker erhalten höflichen Applaus, das Klatschen des sachkundigen Publikums ebbt unmittelbar nach dem letzten Stück jäh ab. Keine Zugabe – auch eine Premiere im Birdland. Nein, das war diesmal leider nix!