Marlon Jordan Quartet | 16.01.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Er sieht verdammt gut aus und spielt auch so. Marlon wie Brando, der große Mime, Jordan wie Michael, der Basketballstar; problemlos drängen sich bei diesem Namen Metaphern von solcher Tragweite auf. Und entsprechend läßt sich der gerade mal 27jährige im ausverkauften Neuburger „Birdland“ Jazzclub feiern: als feiner Darsteller originärer US-Kunst, aber auch seiner selbst, als ansehnlicher Gipfelstürmer, der mit seiner Trompete möglichst hoch hinaus will, immer versessen auf die spektakulären Aktionen, die „Big Pionts“.

Nicht das erste farbige Jungtalent, das auf diese eloquente Weise versucht, einen Fuß in die Türe des Jazzolymps zu bekommen. Roy Hargrove, Nicolas Payton, Marcus Roberts, Wes Anderson, James Carter und wie sie alle heißen, praktizieren zunehmend erfolgreich das neue Credo der afroamerikanischen Musikerelite: mit Selbstbewußtsein und Charme die gute alte Zeit des Swing wiederzubeleben. Ein Produkt der Saat eines Wynton Marsalis, der die Rückbesinnung auf die schwarze Tradition mit missionarischem Eifer zur kulturpolitisch wichtigsten Aufgabe des ausklingenden 20. Jahrhunderts erhoben hat.

Immerhin finden die Tiraden des selbsternannten Vordenkers bei den jungen Nadelstreifenträgern nicht nur unkritische Nachahmer. Gerade Marlon Jordan weiß inzwischen, was der Drang nach einer individuellen Sprache abseits populärer Wege und das Lösen aus den Fängen des (noch dazu ebenfalls Trompete spielenden) Ziehvaters kostet. Das Riesentalent mit klassischer Ausbildung (bei Leonard Bernstein und als Solist beim New Orleans Symphony Orchestra) versank nach seinem sensationellen Debüt Anfang der 90er für fünf Jahre fast völlig von der Bildfläche. Nun jedoch ist er wieder da, stärker, reifer, mit gewachsener Leidenschaft, Erfindungsreichtum und vor allem dem früher häufig vermissten inneren Feuer.

Jordan will jeden seiner Einflüsse sorgfältig abwägen. Das akurate, punktgenaue Phrasieren, das lupenreine, strahlende High-Note-Blowing, die grummelnden Down-Growls, die butterweichen, ohne Dämpfer geblasenen Akkorde: von allem etwas, aber doch nie zuviel. Mit sperriger Polyrhythmik, modalen Überraschungen und fast überfallartigen Tempowechseln nimmt er aufkeimenden Gleichmut auf `s Korn. Keiner soll es bloß im Ansatz wagen, den smarten Burschen mit einem anderen zu vergleichen!

Was natürlich so kaum funktionieren kann. Schon die Songauswahl durchkreuzt seine hehren Pläne. In Duke Ellingtons „Caravan“ rumpelt das Quartett wie ein fröhlicher Bandwagon durch Marlons Heimatstadt New Orleans und verleitet den Leader zu jener typisch schneidenden Kontur, die einst Roy Eldridge zur Norm erhob. Bei „Bye Bye Blackbird“ treiben ihn der ungemein hart swingende Bassist David Pulphus sowie Drummer Donald Edwards` heiße Becken mitten hinein in die klare Linienführung des frühen Miles Davis. Und als sich Pianist Peter Edelman gegen Schluß des Konzertes mit vielen brillanten, soullastigen Läufen immer stärker in den Vordergrund spielt, greift der Trompeter flugs zu den peitschenartigen Riffs eines Clifford Brown, um die Oberhand zu behalten.

Absolut kein Beinbruch für das begeisterte, weil trefflich unterhaltene Publikum. Marlon Jordan möge sich mit der Erkenntnis trösten, daß zumindest ein Schatten völlig fehlte: der von Wynton Marsalis. Und das bedeutet fürwahr einen gewaltigen Schritt nach vorne.