Mark Withfield Quartet | 14.02.1997

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

In der Jugend liegt die Kraft und im Alter die Weisheit, heißt es. Weil beides aber nur selten zusammenfinden mag, gelten Dynamiker diesseits der 30 beinahe schon als emotionales Sicherheitsrisiko. Mit seinem Potential nicht haushalten zu können, sich einfach unkontrolliert „auszupowern“ – die Gralshüter des stets um coole Distanz bemühten Jazzideals erfasst bei derartigen Gedanken regelmäßig das kalte Grausen.

Gerade Mark Whitfield wäre so einer, den der Fahndungscomputer der Jazzpolizei unter Garantie als einen der meistgesuchtesten Hippster auswiese. Hochenergetisches Spiel bis zum Anschlag, endlos lange, fiebrig-heiße Soli, atemberaubendes Tempo bis zur totalen Erschöpfung; was der 28jährige, von vielen bereits als Wundergitarrist apostrophierte Bursche aus Baton Rouge/Louisiana da am Wochenende im restlos ausverkauften „Birdland“ Jazzclub in Neuburg bot, war nichts anderes, als die körperliche Komponente einer oft zu Unrecht als intellektuell verschrienen Musikgattung.

Wenn Whitfield mit seiner ebenfalls noch überaus jungen Begleitcrew konzertiert, riecht das stets nach Schweiß und lustvoller Arbeit. Schneller, höher, weiter: im Stil der amerikanischen 4 x 100-Meter-Staffel auf dem Weg zum Olympiagold hetzt das inspirierte Quartett mit James Earl Pryor am Piano (phantasievoll), Roland Guerin am Baß (groovend, vor allem mit der selten benutzten Slaptechnik) und Donald Edwards am Schlagzeug (robust-solide) durch die selten unter 15 Minuten währenden Themen. „Autumn in New York“ besitzt die elektrisierende Qualität der Bebop-Revolution aus den 40ern, in „Harlem Nocturne“ verscheucht das Ensemble gleich nach wenigen Sekunden jeden Ansatz von Gefälligkeit durch rockartige Akkorde und spritzige Funkrhythmen.

Es liegt wohl an dieser cleveren, weil höchst zeitgemäßen Performance, mit der Mark Whitfield seinen bemerkenswerten Senkrechtstart in die aktuelle Szene vorantreibt. Dabei stammen seine Vorbilder eher aus der Vergangenheit: Grant Green, der virtuose Singlenoter, Kenny Burrell, der ästhetische Klangschöpfer und Wes Montgomery, der wieselflinke Soulbrother. Mit unvermittelt sperrigen Griffvariationen ließ Whitfield allerdings jedem im „Birdland“ wissen, daß er auf keinen Fall als billiges Abziehbild der großen Epigonen betrachtet werden möchte, sondern längst über eine eigene Stilistik verfügt.

Dennoch offenbart der Drang, seine gitarristische Brillanz möglichst umfassend zur Schau zu stellen, auch sukzessive die Achillesferse des US-Boys. Whitfield fliegt in seinen ausschweifenden Soli oft aus der Kurve und scheitert an einem vernünftigen Spannungsaufbau. Richtig gut wurde der Saitenvirtuose dann, wenn er das Feuerwerk löschte, den Speed drosselte, aus einem Bluesthema ein spannendes Tangofragment formte oder einfach nur unbegleitet das leise, wunderschöne „My One and only Love“ zupfte. Da lächelt sogar der König der Gitarren-Ballade, Joe Pass, angesichts solch ungeahnten Dosierungsgeschicks, verschmitzt von Wolke sieben herunter.