Immer wieder im Laufe dieses Abends kommt man in Situationen, den Atem anzuhalten und sich zu fragen: Gibt es jetzt noch eine Steigerung? Nur um dann festzustellen, dass auf jeden Höhepunkt noch ein weiterer folgt, ein noch spektakulärerer, einer, der einem Orkan gleichkommt, der die im ehrwürdigen Birdland Jazzclub vorherrschenden Hörgewohnheiten mal eben so hinwegfegt und durch neue ersetzt. Selten hat eine Band das Clubgewölbe dermaßen auf Links gedreht wie das schwedisch-irisch-englisch-dänische Quartett um den norwegischen Tenor- und Sopransaxofonisten Marius Neset.
Nach großorchestralen Auftritten mit dem Trondheim Jazz Orchestra, der London Sinfonietta und der Danish Radio Bigband widmet er sich nun dem kleinen Format, dem Electric-, dem Rock- und dem Fusion-Jazz. Seine Stücke beginnen mit einem fröhlich hüpfenden, kindlichen Thema, mit einer Spieluhr-Melodie, einem einfachen Hoppsalauf auf der Trommel und enden – denn Neset ist als Komponist ein Meister der Steigerung und der Dynamik – nicht selten in orgiastischen, mit Verve in den Saal gewuchteten Soundgewittern, die einen staunend zurücklassen, sprachlos machen oder gleich komplett umhauen. Dass die Band mit dem Pianisten Magnus Hjorth, Elliot Galvin an den Synthesizern, Conor Chaplin am fünfsaitigen E-Bass und Nesets seit vielen Jahren treuem Weggefährten Anton Eger an den Drums sich des Instrumentariums und des Klangbildes des Rock bedient, ist genrebedingt. Dies zu kritisieren wäre ebenso unsinnig wie Stockhausen vorzuwerfen, nicht Mozart zu sein.
Stücke aus Nesets Feder wie „Wild-life“, „Day In A Sparrow’s Life“ oder „A Hand To Hold“ sind – denen des genialen Frank Zappa nicht unähnlich – nicht selten von enormer rhythmischer Komplexität und stecken voller Überraschungen. Plötzliche Harmonie- und Themenwechsel, überraschende Stopps und Breaks, dichte Abfolgen von lyrischen Momenten und hektischer Betriebsamkeit, epischer Breite und wahnwitziger Rasanz bestimmen die Szenerie, aber welche Kapriolen sich die Band auch leistet, der entscheidende Flow bleibt erhalten. Was dieses Marius Neset Quartett hier über zwei Stunden treibt, ist zwar durchaus kompliziert, aber eben nie verkopft. Und wird auch so wahrgenommen, wie der enthusiastische Beifall am Ende belegt. Natürlich gibt es auch Momente, um inne zu halten. Als Neset sich beispielsweise mit einem Solostück ins Klassikfach vorwagt. Ligeti sei ein großer Einfluss, heißt es, Grieg und Mahler auch. Deren Erbe dient ihm als Basis für eine Improvisation, die man nur als makellos, ja, virtuos bezeichnen kann.
Der Sound mag teilweise ziemlich „heavy“ sein, aber nichts an diesem Abend ist schwer. Wie selbstverständlich bewegt sich die Band, die im Birdland den Abschluss ihrer Tour feiert, was ja oftmals zusätzlich Flügel verleiht, in ihrem Metier. Eger treibt vom Schlagzeughocker aus seine Jungs an, Nesets Kompositionen sind das ideale Feld, um sich so richtig auszutoben und der Rest der Band lässt sich nicht lange bitten. Am Ende fühlen sich alle so, wie’s als Titel auf der aktuellen CD steht: „Happy“. – Was für ein sensationelles Konzert!