Marius Neset Quintet | 01.04.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Immer wieder im Laufe dieses Abends kommt man in Situatio­nen, den Atem anzuhalten und sich zu fragen: Gibt es jetzt noch eine Steige­rung? Nur um dann festzustellen, dass auf jeden Höhepunkt noch ein weiterer folgt, ein noch spektakulärerer, einer, der einem Orkan gleichkommt, der die im ehrwürdigen Birdland Jazzclub vorherr­schenden Hör­gewohnheiten mal eben so hinwegfegt und durch neue ersetzt. Sel­ten hat eine Band das Clubgewölbe der­maßen auf Links gedreht wie das schwe­disch-irisch-englisch-dänische Quartett um den norwegischen Tenor- und So­pransaxofonisten Marius Neset.

Nach großorchestralen Auftritten mit dem Trondheim Jazz Orchestra, der Lon­don Sinfonietta und der Danish Radio Bigband widmet er sich nun dem kleinen Format, dem Electric-, dem Rock- und dem Fusion-Jazz. Seine Stücke beginnen mit einem fröhlich hüpfenden, kindli­chen Thema, mit einer Spieluhr-Melodie, einem einfachen Hoppsalauf auf der Trommel und enden – denn Neset ist als Komponist ein Meister der Steigerung und der Dynamik – nicht selten in orgi­astischen, mit Verve in den Saal gewuch­teten Soundgewittern, die einen staunend zurücklassen, sprachlos machen oder gleich komplett umhauen. Dass die Band mit dem Pianisten Magnus Hjorth, Elliot Galvin an den Synthesizern, Conor Chaplin am fünfsaitigen E-Bass und Ne­sets seit vielen Jahren treuem Wegge­fährten Anton Eger an den Drums sich des Instrumentariums und des Klangbil­des des Rock bedient, ist genrebedingt. Dies zu kritisieren wäre ebenso unsinnig wie Stockhausen vorzuwerfen, nicht Mo­zart zu sein.

Stücke aus Nesets Feder wie „Wild-life“, „Day In A Sparrow’s Life“ oder „A Hand To Hold“ sind – denen des genia­len Frank Zappa nicht unähn­lich – nicht selten von enormer rhythmi­scher Kom­plexität und stecken voller Überraschun­gen. Plötzliche Harmonie- und Themen­wechsel, überraschende Stopps und Breaks, dichte Abfolgen von lyrischen Momenten und hektischer Betriebsamk­eit, epischer Breite und wahnwitziger Rasanz bestimmen die Szenerie, aber welche Kapriolen sich die Band auch leistet, der entscheidende Flow bleibt er­halten. Was dieses Marius Neset Quartett hier über zwei Stunden treibt, ist zwar durchaus kompliziert, aber eben nie ver­kopft. Und wird auch so wahrgenom­men, wie der enthusiastische Beifall am Ende belegt. Natürlich gibt es auch Mo­mente, um inne zu halten. Als Neset sich beispiels­weise mit einem So­lostück ins Klassik­fach vorwagt. Ligeti sei ein gro­ßer Ein­fluss, heißt es, Grieg und Mahler auch. Deren Erbe dient ihm als Basis für eine Improvisation, die man nur als makellos, ja, virtuos bezeichnen kann.

Der Sound mag teilweise ziemlich „heavy“ sein, aber nichts an diesem Abend ist schwer. Wie selbstverständlich bewegt sich die Band, die im Birdland den Abschluss ihrer Tour feiert, was ja oftmals zusätzlich Flügel verleiht, in ihrem Metier. Eger treibt vom Schlag­zeughocker aus seine Jungs an, Nesets Kompositionen sind das ideale Feld, um sich so richtig auszutoben und der Rest der Band lässt sich nicht lange bitten. Am Ende fühlen sich alle so, wie’s als Titel auf der aktuellen CD steht: „Hap­py“. – Was für ein sensationelles Kon­zert!