Marius Neset Quintet | 01.04.2023

Neuburger Rundschau | Ssirus W. Pakzad
 

Vorschlag: sie sollten ihm ein knallbuntes, enganliegendes Kostüm nähen, auf dem der Letter N prangt und den ins neue Outfit gewandeten Mann dann vielleicht ins Marvel-Universum eingemeinden. Denn dieser Marius Neset hat das Zeug zum Superhelden. Was er im Neuburger Birdland spielte, war mitunter nicht ganz von dieser Welt und wirkte so, als könne selbst Kryptonit dem in Dänemark lebenden außerirdischen Norweger wenig anhaben.

Im ersten Set setzte der 38jährige „Neset-Man“, dieser „Wizard of Os“ (er stammt aus dem norwegischen Os) seine extraterretrisch anmutenden Kräfte noch ziemlich dosiert sein. Da deutete sich nur hin und wieder an, dass der technisch vielleicht beste Tenorsaxofonist unserer Zeit auf der Bühne steht. Spätestens aber, als er den zweiten Teil des Birdland-Konzerts ohne Begleitung anstimmte wurde klar: hier ist einer am Werk, der wie keiner zuvor die Möglichkeiten seines Instruments ausgelotete. Neset hat seine Solo-Nummer ursprünglich für Querflöte geschrieben und holte sich die Inspiration vom Wesen eines Spatzes, der vor seinem Fenster einst große Flugkünste demonstrierte. Wie er diesen Sperling in der folkloristisch getönten Nummer durch die Lagen seines Tenors flattern ließ, war schlicht sensationell.

Gleich danach holte Marius Neset seinen musikalischen Langzeitpartner zu sich – einen ziemlich bunten blondierten Vogel, der wohl vom Planeten Fashion stammt und wie Neset mit Superkräften ausgestattet ist: den norwegisch-schwedischen Schlagzeuger Anton Eger. Die Beiden probten über Jahre hinweg oft bis zum Exzess miteinander, entwickelten eine gemeinsame Sprache mit bislang ungehörtem Vokabular und ganz neuer Syntax – rhythmisch durchstrukturiert bis zum geht-nicht-mehr und – wie sich im Konzert zeigte – doch irgendwie offen und von einer fast vergleichslosen Lebendigkeit.
Die ließ auch nicht nach, als die anderen Drei des Quintetts wieder dazu kamen: der schwedische Pianist Magnus Hjorth und der in London lebende irische E-Bassist Conor Chaplin sorgten gelegentlich irgendwie für die Bodenhaftung der Musik. Und der britische Keyboarder Elliot Galvin, schmächtig von der Statur her, aber auch so ein liebenswerter Superman, brachte sie mit selbstprogrammierten kuriosen Sounds zum Abheben.

Neset und seine Spielgefährten gönnten uns über zwei Stunden lang vertrackteste Stücke mit völlig verrückten Zählzeiten und kuriosen Melodien, die in ihrer Ausführung unmenschliche Präzision boten und dadurch etwas Comic-artiges hatten. Kaum zu glauben, dass sich diese Kapriolen in Echtzeit spielen lassen und nicht etwa animiert sind. Die letzte Komposition vor der Zugabe schrieb der norwegische Held Marius Neset, als ein Treffen mit seinen Neffen zum übermütigen Austausch geriet, bei dem melodische Fetzen und Rhythmen pingpongartig nur so hin und her flogen. Neset verdichtete die Fragmente zu einer überschäumenden Nummer, die uns zeigt, dass man sich kindliche Fantasie bewahren, dass man das Gemüt, das Temperament aus der Zeit des Aufwachsens nie ganz eindämmen und stets in sich tragen sollte.

Vielleicht haben die fünf Supermänner des Marius Neset Quintetts an diesem denkwürdigen Abend im Birdland ein wenig die Welt gerettet – mit jenseitigen Kräften, die das Böse aufzuhalten vermögen, aber auch mit Herz, mit Empathie – wie etwa in der hinreißenden Ballade „A Hand To Hold“. Eines hat die Band in jedem Fall geschafft: sie machte das Publikum – so auch der Titel ihres Albums – einfach nur „Happy“.