Es mag an der jahrelangen postrevolutionären Isolation liegen, dass der kubanische Jazz eine so eigenständige Sprache entwickeln konnte. Wobei insbesondere die Pianisten einen entscheidenden Anteil daran hatten. Chucho Valdés, Gonzalo Rubalcaba und auch Roberto Fonseca kommen einem da in den Sinn, in jüngerer Zeit aber auch Marialy Pacheco, die im Neuburger Birdland Jazzclub an diesem Abend ein Solokonzert gibt.
Und zwar eines der ganz besonderen Art. Es mag sein, dass die Musik von der größten der karibischen Inseln deswegen eine derartige Faszination ausübt, weil in ihr afrikanischen Rhythmik und europäische Harmonik eine so betörende Allianz eingehen. Aber da ist auch noch der Jazz, der in ihrer Heimat schon allein deswegen auf besonders intensives Interesse stieß, weil er als westliche, imperialistische Musik geächtet war.
Bei Marialy Pacheco kommt nicht nur die Liebe zum Jazz im Allgemeinen, sondern vor allem die zu Keith Jarrett im Besonderen hinzu. Ihre Versionen von dessen „Be My Love“ und „My Song“ sind betörende Preziosen, verströmen eine Leidenschaft, die einen sofort in ihren Bann zieht, die man als Zuhörer persönlich spüren kann. Ihre Musik ist ein Spiegelbild ihrer eigenen und der Seele ihres Heimatlandes, in ihr liegen überbordende Lebensfreude, Sinnentaumel und mit Händen zu greifende Melancholie ganz nah beieinander. Immer wieder erzählt sie zwischen den einzelnen Stücken Geschichten und Anekdoten aus ihrer Vita. Manchmal tut sie das für manch einen zugegebenermaßen vielleicht etwas zu theatralisch oder zu ausufernd, aber authentisch ist die quirlige Musikerin mit den flinken Fingern dabei immer. Nichts ist aufgesetzt. So ist sie eben und kann nicht anders.
Unter ihren Händen wird jedes einzelne Stück des Abends zu einem überaus schmackhaften improvisierten Bonbon. Ob es sich dabei um Mercer Ellington’s „Things Ain’t What They Used To Be“ handelt, um einen der höchst diffizilen Titel von Ernesto Lecuona, um übermütigen Flamenco, um die schwer zu greifende Komposition mit dem Fantasienamen „Burundanga“ oder eine dieser unvergleichlichen Balladen Jarretts – immer ist die Persönlichkeit Marialy Pachecos von entscheidender Bedeutung. Die von ihr ausgewählten Stücke werden zu ihren eigenen, manche klingen schrill und bunt, wie man sie vorher vermutlich noch nie gehört hat, manche auf einzigartige Weise intim. „Das Schöne an improvisierter Musik“, sagt Marialy Pacheco, „ist ihre Einzigartigkeit. Was ich heute spiele, werde ich so nie mehr reproduzieren können.“ Damit bringt sie das Wesen des Jazz auf den Punkt und liefert gleichzeitig das Motiv dafür, warum für viele Jazzfans auch hundertmal interpretierte Standards nie uninteressant werden. Weil eben jeder sie anders interpretiert und in ganz besonderen Fällen vielleicht sogar neu erfindet. Es gab Passagen an diesem Abend, da gelang Marialy Pacheco sogar das.