Marcin Wasilewski Trio | 31.01.2014

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Emanzipation auf Polnisch: Ein fast noch jugendliches Pianotrio, ehedem „nur“ die Begleitcombo des großen Trompeters Tomasz Stanko, befreit sich aus den Klauen der übermächtigen Erwartungshaltungen. Und das ausgerechnet in einer Disziplin, über die alle Nachrufe längst geschrieben schienen. Warum nur? Diese Frage stellt sich nach dem begeisternden Auftritt des Pianisten Marcin Wasilewski, des Bassisten Slawomir Kurkiewicz und des Schlagzeugers Michal Miskiewicz im restlos ausverkauften Neuburger „Birdland“-Jazzclub mehr denn je.

Da konzertieren drei Musiker, die alles anders machen, als die meisten ihrer festgefahrenen Kollegen, und das Publikum hängt wie gebannt an ihren Fingern, um nur ja kein Detail dieses hochsensiblen gruppendynamischen Prozesses zu verpassen. Drei Polen, die eigentlich nie dem landestypischen Jazz-Klischee entsprechen, slawische Melancholie mit wütenden Freejazz-Eruptionen in einen Klangtopf zu werfen. Wasilewski und seine Freunde versprühen vielmehr die Magie eines der großen amerikanischen Trios, wecken Assoziationen an Bill Evans, Paul Bley oder Keith Jarrett und wirken mit ihren minimalen Mitteln und ihrer unangestrengten Intensität amerikanischer als die meisten der aktuellen Protagonisten aus dem Land der unbegrenzten Improvisationen.

Wie sie sich in einem Innenraum von glühender Poesie bewegen, ihre Stoffe drehen und wenden, ihre Storys entwickeln und sie mitunter zur Kraft eines Oratoriums steigern, das gelingt in dieser organischen Ausgewogenheit derzeit kaum einer anderen Formation. Dennoch erweitern sie in Neuburg ihre charakteristischen Klanglandschaften auf ein bislang unbekanntes, faszinierendes Terrain. Auf durchbrochenen Metren swingen und grooven sich die drei durch höchst komplizierte, aber verblüffend eingängige Themen wie Herbie Hancocks Funk-Reißer „Actual Proof“, die Edel-Punk-Hymne „Message In A Bottle“ oder Wayne Shorters „Virgo Rising“. Sie sezieren sie und formen aus den Einzelteilen ein völlig neues Stück.

Die Hauptrolle obliegt mitnichten Marcin Wasilewski, diesem 38-jährigen Tastenkobold, der leichtfüßig, virtuos agiert, in alle Richtungen sprungbereit und nie um eine überraschende Idee verlegen. Sie gebührt jedem Einzelnem: Dem dynamisch schattierenden Miskiewicz, der den Pianisten in atemberaubendem Tempo jagt, umkreist oder stützt, genauso wie dem Bassisten Kurkiewicz, der beide mit einem hohen Maß an musikalischer Empathie in der Spur hält.

Ihre Musik: Bewegungen, die sich wie von selbst ergeben, Figuren, die, von einem kleinen Akkord oder einer rhythmischen Irritation ausgehend, lebendig werden. Ein virtuoses Vexierspiel, das seinen Höhepunkt in Wasilewskis traumhafter Ballade „For Austin (Paralta)“ nach der Pause findet. Der Pianist lässt seine Läufe wie Morgentau auf die Klaviatur perlen, der Kontrabass brummt sanft und warm, während der Besen auf der Snare einen sanften Lufthauch zwischen die Taktstriche schiebt. In einem Moment wie diesem vereinen sich Melos, Kantabilität und das Streben nach perfekter Harmonie zu einer unbändigen emotionalen Kraft. Selten schien der Applaus im „Birdland“ intensiver, enthusiastischer!