Marc Copland New Quartet feat. Mark Feldman | 22.04.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Kennen Sie Karl Ove Knausgård? Der norwegische Schriftsteller besitzt die seltene Gabe, sein Publikum, aber auch sich selbst immer wieder aufs Neue zu überraschen. Kein Roman gleicht dem vorherigen, wer glaubt, den Shootingstar der Literaturszene endlich entschlüsselt zu haben, der erlebt regelmäßig, dass das Unerwartete die einzige Konstante ist. Das Jazz-Äquivalent zu Karl Ove Knausgård heißt Marc Copland. Ein Musiker, der nichts so sehr hasst, als sich selbst zu kopieren. Jedes Konzert offenbart eine andere, bislang noch nie gehörte Facette des New Yorker Pianisten, der mittlerweile nicht nur in Neuburg immer mehr Fans hinter sich scharen kann. Die Zeit scheint endlich reif für nonkonformistische Außenseiter wie Copland und Knausgård. Beide gehören inzwischen zu den absoluten Superstars ihres Genres, wobei der 73-jährige Amerikaner nahbar wie eh und je zum wiederholten Mal in den Birdland-Jazzclub zurückkehrt – für ihn ein Konzert mit Wohnzimmercharakter.

Alles neu macht der April. Im Schlepptau von Marc Copland befinden sich diesmal mit dem hochtalentierten, klug konstruierenden und blutjungen Bassisten Felix Henkelhausen sowie Drummer Jonas Burgwinkel, einem grandiosen Navigator durch das Dickicht krummer Taktarten, eines der aktuell besten Rhythmusduos der Republik. Als zweite Harmoniestimme fungiert im Quartett diesmal der Weltklasse-Geiger Mark Feldman, dessen Bogenführung für jede Jazzcombo eine Herausforderung darstellen muss. Nicht jedoch für Copland. Der Pianist, der jedes Geräusch, jede Regung um ihn herum als Inspiration begreift, kontrastiert den Sound der Violine auf wundersame Weise. Feldman erliegt nie der Versuchung, seine Fiedel wie ein populistischer Teufelsgeiger klingen zu lassen. Er kämmt fast jedes Thema behutsam gegen den Strich, oft mit einem formstrengen klassischen Ansatz, mitunter jedoch auch schrill und dissonant. Dazu passt Coplands Spiel wie der Bogen auf die Saiten. Ein Suchen, ein Trudeln, ein lustvolles Umspielen des Themas, kunstvoll, rätselhaft. Manchmal erkennt man die Stücke erst nach einer Minute, an einigen wenigen Akkorddrehern und re-fragmentierten Versatzstücken.

Dabei wählen die vier ein interessantes Programm voller Wiedererkennungseffekte. Der Standard „East Of The Sun“ eröffnet vermeintlich gefällig, kippt aber dann schnell ins Mystische. „Spring Song“, ein Walzer aus der Feder von Coplands verstorbenem Freund John Abercrombie, wandert durch kristalline, harmonische Irrgärten. Manchmal scheint es, als verzettele sich der Pianist völlig und verbaue sich alle Rückwege. Doch keine Sorge: Einer wie er findet immer eine Lösung, noch dazu eine verblüffende, wunderschöne. Den erklärten Höhepunkt des Abends bildet die faszinierend-fremdartige Version von John Coltranes „Afro Blue“, bei der die Violine wie ein Echo in den Dschungel ruft und ein donnergrollendes Drumsolo zurückschallt. Bill Evansʼ „Nardis“ lebt von einem sanften, suchenden Groove, bei dem vor allem der erstaunlich reife Felix Henkelhausen und Feldman mit ihren parallelen Bogeneinsätzen scheinbar wie ein neues Instrument klingen.

Überhaupt wird jedes Stück von den Bandmitgliedern nahezu paritätisch getragen. Mark Feldmans modernes, lyrisches Geigenspiel, bei dem er nahezu bruchlos zwischen lieblichen Arpeggios und dreckigen Strichfolgen hin und her wechselt, passt perfekt zum behutsamen Anschlag Coplands, der seine impressionistischen Klangmalereien im Stile von Skrjabin und Debussy gerne in einem unter der Oberfläche brodelnden Swing münden lässt. Burgwinkel setzt einen markanten neuen Akzent im Vergleich zu seinem nicht minder famosen Vorgänger Joey Baron. Er drängt sich nicht unbotmäßig in den Vordergrund, aber ist ausgesprochen präsent im Gruppengefüge mit seinem raumgreifenden polyrhythmischen Nuancenreichtum.

Am Schluss, mit dem Traditional „Greensleeves“ als Zugabe, lässt sich der Zustand des begeisterten Publikums nach diesem durchaus anspruchsvollen Abend in etwa so beschreiben: zufrieden, aber gleichzeitig schon in Erwartung des nächsten Abenteuers mit Marc Copland. Vielleicht sollte er tatsächlich mal mit Karl Ove Knausgård ein Buch schreiben. . .