Der Pianist Marc Copland aus Philadelphia und der Geiger Mark Feldman aus Chicago. Die beiden Hauptakteure des Abends haben einiges gemeinsam. Beide sind wegweisende Vertreter ihres Faches im heutigen Jazz, beide sind Freigeister und absolute Individualisten. Und schließlich haben beide jüngst Soloalben ohne jegliche Begleitmusiker veröffentlicht. Copland eine Hommage an den Gitarristen John Abercrombie mit dem Titel „John“ und eine an den Bassisten Gary Peacock unter der Überschrift „Gary“, Feldman das Album „Sounding Point“.
Nach alldem ist nun das Marc Copland New Quartet feat. Mark Feldman zu Gast im Neuburger Birdland Jazzclub, das mit Beteiligung von Jonas Burgwinkel am Schlagzeug und des Kontrabassisten Felix Henkelhausen – beides ihrerseits wiederum Spitzenkräfte des europäischen Jazz – ein Konzert gibt, das man durchaus mit „Aktion-Reaktion-Interaktion“ betiteln könnte. Copland ist bekannt dafür, äußerst sensibel, ja geradezu seismografisch, auf seine Umgebung zu reagieren, um auf der Basis dessen, was auf ihn an akustischen oder emotionalen Reizen einströmt, selbst aktiv zu werden. Seine Kollegen liefern ihm den Input, umgekehrt konfrontiert er sie wiederum mit seinen Ideen, die dann gemeinsam verarbeitet werden.
Als Paradebeispiel mag die Feldman-Komposition „Elegy“ dienen, die in Papierform nur vier Notenzeilen lang ist, in Echtzeit aber knappe 15 Minuten. Was während dieser Zeitspanne geschieht, ist völlig offen, auch für die Musiker selbst. Gerade dann freilich, wenn Vorgaben hinsichtlich des Tempos, der Taktart oder des Ablaufs wegfallen, entsteht eine regelrecht knisternde Spannung. Das Prinzip funktioniert in auch bei Abercrombie’s „Spring Song“ oder dessen balladeskem „Sad Song“, bei Standards wie „East Of The Sun“, anlässlich einer wunderschönen Bearbeitung von „Greensleeves“ in der Zugabe, besonders eindrucksvoll aber bei Mongo Santamaria’s „Afro Blue“ und dessen Cuban Flair, wenn das Thema nur kurz angerissen wird und im weiteren Verlauf nur noch verklausuliert, bruchstück- oder schemenhaft auftaucht. Man will es greifen, erwischt es aber nie wirklich, bis sich ganz am Ende in einer Art Coda alles, wie von Zauberhand inszeniert, wieder zusammenfügt.
Das Konzert des Marc Copland New Quartet ist eines, in dem es in besonderem Maße auch um künstlerische Freiheit geht, um die Möglichkeit, auf Konventionen zu pfeifen und sich von Inspiration, Eingebung und Befindlichkeit leiten zu lassen und in dieser speziellen Situation das zu tun, was einem richtig erscheint. Am nächsten Abend, wenn die Umstände andere sind, werden die selben Stücke vermutlich komplett anders ablaufen. In diesem Sinne sind die zwei Stunden im Birdland einzigartig, nicht wiederholbar, Weltpremieren sozusagen, die aus dem Moment heraus entstehen, nur im Ansatz einem Plan folgen, der aber jederzeit geändert, völlig umgeworfen oder spontan neu erfunden werden kann. Drahtzieher ist Copland, von dessen Wagemut sich seine Kollegen als gleichwertige Partner anstecken lassen. Zöge einer nicht mit, ginge es nicht, gemeinsam sind sie an diesem Abend ein Quell nie versiegender Kreativität.