Marc Copland – John Abercrombie – Kenny Wheeler | 09.05.1998

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Dasitzen und sich einlassen. Eine Brücke bauen zum Kopf der Musiker, hinabgleiten in einen Strudel von Gedanken, Zitaten, Einwürfen, Konstruktionen, die nonverbale und blicklose Kommunikation der drei beobachten und dabei nur ja nicht die Konzentration verlieren. Je anspruchsvoller die Musik, desto schwerer gestaltet sich auch des geschätzten Zuhörers Aufgabe.

Im Falle des Gastspiels von Kenny Wheeler, John Abercrombie und Marc Copland im Neuburger „Birdland“ schienen die Protagonisten des Abends sogar einige besonders hohe Hürden aufgebaut zu haben. Unzählige verschlungene, düstere Linien, weit abschweifende Soli und bizarr verschachteltes Interplay gestatteten so gut wie niemandem im Publikum, sich auch nur für wenige Sekunden zu entspannen. Doch wer will sich schon in einem Jazzclub bloß anspruchslos berieseln lassen, ohne nachdenken zu müssen?

Jazz dient gerade diesen Männern, die ihr Instrument in der gleichen Funktion sehen, wie Goethe seinen Federkiel, vorrangig als Benzin fürs Gehirn. Eine Formation, bestehend aus Weltstars solchen Kalibers, kann gar nicht anders, als sensible Lyrismen in Noten zu formulieren, deren Genialität freilich aus besagten Gründen kaum jemand auf Anhieb begreift. Schon das Wesen jedes einzelnen fördert geradezu die ganze Verschlossenheit der Darbietung. Marc Copland, der häufig an Bill Evans erinnernde Post-Impressionist am Piano, tastet sich übervorsichtig in seinen Arpeggien voran. Selbstvergessen, im Geiste um Lichtjahre entfernt, erzeugt er mit seinem weichen Anschlag dennoch eine große dynamische Struktur.

Oder John Abercrombie, den man zuvor eigentlich als den Bodenständigsten der Troika vermutete. Die gitarristische Instanz der 70er Jahre-Kultgruppe „Gateway“ mußte diesmal aus technischen Gründen auf seinen gewohnten rauh-würzigen Stereosound verzichten, was dazu führte, daß aus seinem Korpus plötzlich halbakustische, versonnen-trockene Singlenotes, mit freilich weniger überraschenden Wendungen als sonst, kullerten.

Einen Dominator wider Willen gab der englisch-kanadische Supertrompeter Kenny Wheeler ab – ganz Tüftler und Perfektionist, der zunächst völlig hinter seine Partner zurücktritt, diese behutsam einen Stimmungsrahmen formen läßt. Dann beginnt Wheelers Flügelhorn, darin fließende Formen unterzubringen, alle sorgsam austariert, detailverliebt, aber kaum verschnörkselt. Sein Spiel besitzt eine geradezu dramatisch ansteigende romantische Melancholie, an dessen Gipfel sich verquere Strukturen mit einem Mal in flatternde Notenbänder, Soundpartikel und Sternenstaub auflösen.

Vielleicht ist es ja die einzige Möglichkeit für die drei, Gefühle in Themen wie „Desending Grace“ oder „Bookends“ auszudrücken, Empfindungen zwischen den jeweiligen Taktstrichen zu entblößen. Das Trio der Introvertierten pendelt stets in einem schwebenden Rhythmus, liefert Bilderfetzen oder läßt träumerische Pastellfarben schimmern. Mit einer Ausnahme: als Zugabe intonierten sie Monks „Mysterioso“ noch rumpeliger, als es dieser eh schon schräge Klassiker der Jazzliteratur überhaupt verträgt, und reduzierten ihn auf seine eigentliche Basis: den Blues. Die harte Landung nach einem Ausflug ins Universum.