Es fühlt sich gut an. Warm, vertraut, zärtlich. Immer wenn Marc Copland, dieser wunderbare Pianist (viele halten ihn längst für besser, intensiver und vor allem aufrichtiger als Superstar Brad Mehldau) nach Neuburg kommt, beschenkt er die, die gekommen sind, überreich.
Nicht nur mit Tönen, glasklaren, fließenden Läufen und kunstvoll verschachtelten Akkorden. In Coplands Wundertüte befindet sich diesmal etwas, dem man mit Fug und Recht das oft ziemlich wahllos verschleuderte Prädikat der lebenden Legende umhängen kann: der Kontrabassist Gary Peacock, Downtown-, Avantgarde- und Underground-Denkmal und Dauerweggefährte von Keith Jarrett, steht nach einigen vergeblichen Anläufen endlich leibhaftig auf der Bühne des „Birdland“-Jazzclubs. Ein hoch spannendes, reizvolles, aber auch kitzliges Unterfangen. Peacock, der Scheue, der Introvertierte, will keine Fotos während des Sets. Ein noch so leiser Klick könnte womöglich die erhabene Diskurse, das gemeinsame Wandeln durch den Nebel stören, den Röntgenblick in die nächste Bewusstseinsebens trüben, sich überhaupt negativ auf die Vibrationen auswirken.
Dass Sie dennoch nebenstehend eine aktuelle „Birdland“-Aufnahme des Mannes sehen, der am kommenden Donnerstag seinen 70. Geburtstag feiert, liegt daran, dass unser Fotograf Gerd Löser über eine mindestens genauso ausgeprägte Sensibilität verfügt wie Peacock. Beide verrichten ihre Arbeit behutsam, diskret aber mit immenser Tiefenwirkung, wählen unkonventionelle Wege und gelangen trotzdem zum Ziel. Wobei der Bassist gerade in Neuburg ein unglaubliches Lehrbeispiel für technisch brillante Improvisationskultur abliefert.
Der hagere, asketisch wirkende Stilbildner hangelt sich von Pattern zu Pattern, benutzt melodisch-rhythmische Wendungen als Bausteine, flirtet mit einem bestimmten Ton, verändert ihn, setzt Anspielungen auf andere Töne und verwandelt diese dann in perkussive, pulsierende Elemente. Gary Peacock bringt Bewegung in die schwebend-fragenden Stimmungen, die Marc Copland in „My Foolish Heart“ zeichnet. Er haucht melancholische Fragezeichen mit seinen langsam pochenden Einton-Ostinati auf den Flügel, wo der 57-jährige New Yorker die Schwerelosigkeit des Anschlags bei „Estate“ bis an jenen imaginären Punkt treibt, an dem der Klang zu purer Nachdenklichkeit zu gerinnen scheint.
Vom Zusammenspiel der beiden meditativen Lyriker geht eine starke Suggestivkraft aus. Es ist eine Paradoxie von Aufbruch und Innehalten, von Willkommen und Abschied, die beklemmend und beglückend zugleich wirkt. Nach einem düster-erhabenen „Requiem“ aus der Feder Peacocks scheint der brodelnde „Talking Blues“ und das heftig treibende, glitzernde „All Blues“ von Miles Davis, das im Nährboden des Bebop großgezogen wurde und bei den Zwei zu einer Art Groove-Impressionismus mutiert ist, beinahe die logische Konsequenz.
Die Themen erfahren in den Händen der beiden Amerikaner, die nach zwei Stunden tosenden Applaus vom faszinierten Publikum ernten, eine sanfte, aber ziemlich gründliche Defragmentierung. Eine Reduktion auf verschüttete Werte, auf Substanzielles, Persönliches, auf Tatsachen. Irgendwann stehen eine Pianotriole oder ein Bassdrop im Raum und bleibt hängen. Es lohnt sich sie zu bewahren, Coplands und Peacocks Botschaft zu speichern: Musik in ihrer reinsten Form überdauert jeden Zeitgeist. Weil sie ein Urbedürfnis der Menschen befriedigt. Das nach Wärme, Aufrichtigkeit und Wahrheit.