Wer Marc Copland in den vergangenen Jahren im Birdland-Jazzclub immer wieder gesehen und gehört hat, der glaubt inzwischen zu wissen, was kommt: wieder eines dieser intimen, introvertierten Intermezzi. Und diesmal lässt der amerikanische Pianist, der sich mit dem Schweizer Ausnahmebassisten Daniel Schläppi auf einen musikalischen Dialog einlässt, bereits zu Beginn sogar das Licht dimmen, um es seiner grundmelancholischen Stimmung anzupassen. Also alles wie gewohnt?
Weit gefehlt! Wer sich tatsächlich etwas intensiver mit dieser Ausnahmeerscheinung des zeitgenössischen Jazzpianos auseinandersetzt, mit einem Mann, der sich selbst ständig hinterfragt und weiterentwickeln möchte, der stellt auch diesmal einige kleine, aber im Laufe eines Konzertes durchaus wesentliche, markante Veränderungen fest. Nummer eins: Coplands Anschlag ist zupackender, beherzter geworden. Er tupft nur noch selten seine altbekannten gläsernen Akkorde in die Klaviatur, schwelgt vielmehr genussvoll in den Harmoniefolgen der einzelnen Stücke. Und: Es sind tatsächlich mehr Noten als noch zu Zeiten, in denen Pausen oft wertvoller schienen als der Klang der Flügel-Saiten. Dabei umspielen sich der Pianist und der Bassist behutsam, zuvorkommend, wertschätzend, aber nichtsdestoweniger intensiv. Sie wechseln sich unscheinbar in der Melodieführung oder der Rhythmusstruktur ab, funktionieren telepathisch, beinahe wie ein altes Ehepaar, das den nächsten Schritt des Partners schon Sekunden im Voraus erahnt.
Während früher jede Menge freier, knorriger Improvisationen Platz griffen, boppt, groovt und swingt es mittlerweile erstaunlich herzhaft und launig, ohne dabei gleich eine populistische Rolle rückwärts zu schlagen. Marc Copland und Daniel Schläppi würde nie Artefakte aus dem Jazzmuseum kopieren, obwohl sie die alten Nummern schätzen und verehren. Die beiden erzählen vielmehr die Geschichten hinter bekannten Standards wie „Eighty One“ von Bass-Ikone Ron Carter oder „Nardis“ von Miles Davis neu, aus ihrer Perspektive, erfinden ein paar Anekdoten dazu und lassen dann dem Publikum dann genügend Interpretationsspielraum, das dann seinen eigenen Schluss kreieren darf. Bestes Beispiel: Das schlängelnde „All Blues“ entwickelt die gründelnde Kraft einer mächtigen Lawine, die im Zeitlupentempo einen Berg hinunterrollt, während das extrem tanzbare „Oleo“ von Sonny Rollins kurz vor der Pause unerwartet heiter und hibbelig bleibt.
Dabei befinden sich Copland und Schläppi ständig auf der Suche nach alternativen Wegen. Stücke, die sie am Abend zuvor andernorts intonierten, klingen 24 Stunden später im Hofapothekenkeller völlig anders. Und so gerät jedes Konzert zu einem funkelnden Unikat, jeder Song zu einer wertvollen Perle. Manchmal wirkt Daniel Schläppi mit seinem behutsamen, bindenden, achtsamen Spiel bei der gemeinsamen Abenteuertour wie ein Sherpa, der versucht, einen Freund sicher zum Gipfel zu geleiten. Wie oft hat Marc Copland im Birdland schon Stücke wie „Love Letter“ aus der Feder seines verstorbenen Weggefährten John Abercrombie oder sein eigenes „Round She Goes“ gespielt? An diesem Tag klingen sie noch eine Idee runder, reifer, schöner, vielleicht noch nicht superperfekt. Aber ein bisschen Luft nach oben muss ja noch bleiben, für die Zukunft. Vor allem die innigen Momente bleiben als Höhepunkte eines atemberaubenden Konzertes im ausverkauften Gewölbe bis zum nächsten Besuch der beiden Melodienwandler im Gedächtnis haften. Das bezaubernde Traditional „Greensleeves“, die hinreißende Zugabe „In A Sentimental Mood“ von Duke Ellington. Unerreicht jedoch: der atemberaubende Beatles-Klassiker „And I Love Her“. Die 2025er-Neuburg-Fassung von Marc Copland und Daniel Schläppi mit der hypnotisch kreiselnden, flehenden Wiederholung des Themas erwischt einen wirklich am wundesten Punkt und rührt zu Tränen. Ein magischer Abend!bh