Selbstverständlich treten Jesse Davis und sein Quartet bei Bedarf auch in größeren Sälen auf. Nirgends freilich übt seine Musik eine derart intensive Wirkung auf das Publikum aus wie in kleinen Clubs. Clubs wie dem Birdland in Neuburg oder dem Smalls in New York City, wo Davis auch die Stücke für seine bislang jüngste CD mitschneiden ließ.
Die jedoch spielt er im bis auf den letzten Stehplatz gefüllten Birdland gar nicht, nein, er ist schon längst wieder einen Schritt weiter, hat für seine Gigs in der alten Welt ein knappes Dutzend alternativer Kompositionen ausgewählt, eigene wie das bluesige „Pray To Be Free“ und das knackige „You Never Know“, Adaptionen von Thelonious Monk, Benny Golson und Tom McIntosh und auch ein paar Standards wie „In A Sentimental Mood“ und „Night And Day“. Swing, Be Bop, Hard Bop, unwiderstehliche Themen, originelle Soli – das gibt es von anderen Altsaxofonisten auch, selten aber bewegt sich einer in diesem Bereich des Jazz mit einer derartigen Intensität wie Davis, gibt seinem Publikum derart überzeugend das Gefühl, jeden einzelnen Ton mit Händen greifen zu können, in sich aufzusaugen und auf Seele und Körper wirken zu lassen.
Bei diesem Konzert im Birdland sind sich Musiker und Publikum ganz besonders nah, auch wenn Davis nur tut, was – ganz nüchtern betrachtet – andere in Neuburg auch schon taten, nur eben mit einer Hingabe, einer Wärme und einer Emotionalität, mit der es manch anderer in diesem Ausmaß eben nicht tun. Vielleicht liegt es daran, dass das Publikum während der Songs so andächtig lauscht und mit dem Applaus bis zum Ende des betreffenden Stücks wartet, worüber sich Devis wundert. „Ihr seid so ruhig, als wärt ihr in der Kirche“, sagt er, der von zuhause etwas ganz anderes gewohnt ist. „In my church it rocks!“ – Nun ja, Hochachtung kann man eben so oder so ausdrücken.
Davis kommt ursprünglich aus New Orleans und somit aus dem Dunstkreis von Wynton und Branford Marsalis und Terence Blanchard, wird längst als deren würdiger Nachfolger gehandelt und manche sagen auch, er sei von Cannonball Adderly und Phil Woods beeinflusst. Das mag alles sein, ist aber nicht entscheidend. Im Birdland besteht er mit Nachdruck auf seiner eigenen Spielweise, beweist, dass er auf dem besten Weg ist, selbst ein weiterer Stilbildner zu werden und zwar auf eine in höchstem Maße uneitle, unaufdringliche Weise. Seiner europäischen Band mit Oliver Kent am Flügel, Martin Zenker am Kontrabass und Mario Gonzi am Schlagzeug lässt er all den Freiraum, den sie für sich einfordern. Und die danken es ihm zur Freude des Publikums mit bereichernden solistischen Beiträgen, die jede einzelne Nummer des am Ende weit über zweistündigen Konzerts zu einem besonderen Ereignis machen.
Große Musik in kleinem Rahmen. Und die Hütte ist rappelvoll. Da ging das Konzept des Birdland Jazzclubs wieder mal auf höchst beeindruckende Weise auf, was aber nicht nur an diesem einen Abend liegt und nicht nur an Jesse Davis und seiner Band, sondern an Jahrzehnte langer Arbeit, stetem und erfolgreichem Mühen um ein hochwertiges Programm und dem richtigen Gespür dafür, wie man es dem Publikum nahebringt. „The real Birdland is here in Neuburg“, sagt Davis im Verlauf des Konzerts.