Als sich abzeichnete, dass sich das Corona-Virus keineswegs so schnell trollen würde wie es 2020 über die Menschheit gekommen war, zog es den polnischen Altsaxofonisten Maciej Obara zurück in die Region, aus der er stammt. Er mietete ein Haus am Rande eines Nationalparks, streifte tagtäglich durch einsame hügelig-gebirgige Landschaften, ließ die Natur auf sich wirken, holte sich Inspiration von der Flora und Fauna, vom wechselnden Licht, von der Witterung. Die Kompositionen, die er dann in der selbst gewählten Klausur entwickelte, stellte er mit seinem bewährten Quartett nun während eines berauschenden Konzerts im Neuburger Birdland vor.
Beim Soundcheck saßen die neuen Stücke noch nicht auf Aufhieb, musste manches Detail der Obara-Kompositionen feinjustiert werden. Das Material des Abends sei noch frisch, das Publikum müsse aber nicht die Sorge haben einer öffentlichen Probe beizuwohnen, beteuerte Maciej Obara später bei seiner ersten Ansage. Das durfte er auch ruhigen Gewissens behaupten – denn er weiß, dass er und seine drei Spielgefährten ganz bei der Sache sind wenn es drauf ankommt, Yes, we can.
Seit einigen Jahren besteht Maciej Obaras Quartett, mit dem er 2019 den „BMW Welt Jazz Award“ für sich entscheiden konnte, nun schon in unveränderter Besetzung. An des Saxofonisten Seite glänzen seit der Gründung seines Vierers mit Steuermann der klassisch ausgebildete, ebenfalls aus Polen stammende Pianist Dominik Wania und zwei Norweger, die zu den erfahrensten Rhythmusleuten Europas zählen: der Bassist Ole Morten Vågan (der derzeit dem furiosen „Trondheim Jazz Orchestra“ vorsteht) und der Schlagzeuger Gard Nilssen (der unter anderem mit seinem „Supersonic Orchestra“ von sich reden macht).
Schnell wird an diesem Abend im Birdland klar, wie instinktsicher, wie reaktionsschnell, wie frei, wie hochsensibel die zwei Mittel- und zwei Nordeuropäer miteinander umzugehen verstehen. Auf und ab wogt ihre Musik, die als bestes Lehrbeispiel für Dynamik taugt. Eben noch tönte sie berührend zart, verletzlich, pastellen, verwunschen. Ohne wahrnehmbare Übergänge mündet das Leise, das Lyrische urplötzlich in Passagen, die einer Farbexplosion gleichen, die wuchtig, überschäumend und einfach überwältigend sind, die höllisch intensiv swingen und die umwerfende Virtuosität von Obara, Wania, Vågan und Nilssen offenbaren. Einfach atemberaubend, was die Vier da zusammen entfachen.
Doch dann lichtet sich der Rauch so schnell, wie er gekommen ist und da sind sie wieder: diese irgendwie schwebenden selbstvergessenen atmosphärischen Momente, mit denen Maciej Obara die meisten seiner von Jazz, zeitgenössischer Klassik und heimischer Folklore beeinflussten Kompositionen einläutete. Seine Musik ist ein Naturereignis, so unberechenbar wie das Klima in der Region, in die er sich während der Pandemie aufhielt. Durch den Nebel im Tal stehlen sich die ersten Sonnenstrahlen. Gleich aber wird ein Gewitter aufziehen, das Blitz und Donner, das Starkregen und Sturm mit sich bringt.
Die Impressionen, die Maciej Obara während seiner Auszeit im Nationalpark gewann, fließen nun in ein drittes Album für das legendäre Münchner Label ECM. Wer im Birdland beim Konzert seines Quartetts anwesend war, wird dieses Werk bestimmt erstehen wollen.