Lynne Arriale Trio feat. Wolfgang Lackerschmid | 06.04.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die Linke kraftvoll marschierend, die Rechte lyrisch und voller melancholischer Eleganz: Selbst wenn es inzwischen ziemlich abgedroschen klingt: Lynne Arriales Pianistik will einfach keinem der vielen gängigen weiblichen Klischees entsprechen. Stattdessen setzt die zweite starke Tastenfrau (nach Geri Allen) innerhalb von nur zwei Wochen im Neuburger „Birdland“-Jazzclub bei ihrem absolut überzeugenden Gastspiel einen selbstbewussten Kreislauf aus Muskeln und Verspieltheit in Gang.

Die New Yorkerin entzieht sich allen Vergleichen und erfindet neben ihren attraktiven Originals wie „The Forgotten Ones“ selbst die hausbackenen Standards des Great American Songbook völlig neu.

Dass viele der Besucher im Hofapothekenkeller am Ende der sensitiven Performance freilich den eher unbefriedigenden Eindruck mit nach Hause nahmen, nur die halbe Lynne Arriale kennen gelernt zu haben, lag zum großen Teil an der Besetzung, mit der die rothaarige Lady an der Donau aufgekreuzt war. Neben einem veritablen Trio um den fein nuancierenden Drummer Steve Davis, der die seltene Gabe des Zuhörens und spontanen Reagierens besitzt, sowie des soliden Bassersatzmannes Rocky Knauer, bremste vor allem ihr deutscher Partner, der Vibrafonist Wolfgang Lackerschmid, die volle Entfaltung des kreativen Triebes jener Ausnahmepianistin.

Dabei weiß „Lacki“, einer der Großen seines Faches, durchaus um die Vorteile eines fruchtbaren Interplays. Mit Arriale teilt er sich nahezu paritätisch jede Melodieführung und nimmt die in den Raum geworfenen Bälle dankbar auf, um sie wenig später in veränderter Konsistenz wieder in die Umlaufbahn zurückzuschicken. Dass der Augsburger freilich allzeit die Dramaturgie kontrolliert, die Combo zum großen Teil seine Kompositionen („Sarah’s Bande“) spielt und man sich kaum des Eindruckes erwehren kann, dass die Vibrafonsoli länger dauern würden, als die Alleingänge des Pianos, stört die innere Symmetrie eines eigentlich verheißungsvollen Abends.

Manchmal wirkt Lackerschmid wie ein ungebetener Gast, der jäh eine fragile, zarte Atmosphäre verändert. Denn gerade in den raren Trio-Intermezzi offenbart Lynne Arriale zumindest nuanciert ihr enormes Potenzial. Kaum ein anderer Pianist lässt nämlich im Augenblick die energetischen Impulse seiner Mitmusiker direkter in den eigenen Sound einfließen, niemand, nicht einmal Brad Mehldau, verfügt über eine derart gepflegte, ausgewogene Anschlagskultur.

Bei normalem Verlauf hätte es fast zwangsläufig so kommen müssen, dass die Hörer dem Zauber von Arriales Verführungskunst verfallen wären. Ein Fixstern aus Intelligenz und Leidenschaft, der auf jeden Fall ein Wiederholungskonzert verdient, bei dem ihm über mindestens zwei Stunden hinweg die alleinige Aufmerksamkeit gebührt.