Lynne Arriale Trio | 14.04.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Nahezu jeder hat das schon mal erlebt: Da gibt es einen Menschen in der Familie, auf den man sich freut, der Wärme ausstrahlt und Zuversicht, der Geschichten erzählen, das Leben immer wieder ein klein bisschen besser machen kann. Lynne Arriale ist so ein Mensch, den alle kennen, fast wie ein Familienmitglied, vertraut, ungekünstelt emphatisch. Eine Seelentrösterin am Klavier. Dass die Amerikanerin mit dem markanten feuerroten Kraushaar am Freitag zum x-ten Mal seit den 1990er Jahren wieder dem Neuburger Birdland ihre Aufwartung macht, füllt den Keller unter der Hofapotheke fast schon automatisch. Denn alle hoffen auf ein gutes Wort, das sie dann auch gleich zu Beginn anbietet: „Was immer auch passiert: Gib niemals, niemals auf!“ Und dazu liefert sie im Laufe der folgenden 120 Minuten auch noch jede Menge guter Töne.

Denn Arriale ist eine Meisterin der subtilen Anschlagskultur, eine harte, beharrliche Arbeiterin im Probenraum, die so lange an einem komplizierten Lauf oder einer vertrackten Akkordfolge feilt, bis ihre Melodien leicht und nahbar daherkommen. Denn eine Geschichte funktioniert auf keinen Fall, wenn man zu viele Fremdwörter verwendet. Und sie erzählt pausenlos kleine Geschichten: über bessere Zeiten, freundlichere Menschen, Veränderungen, Zukunftsperspektiven. Sie pendelt zwischen sanften, federnden Balladen, bei denen sich keiner im Publikum traut sich, die intime Atmosphäre des nachhallenden letzten Tones durch den ersten Klatscher zu zerstören, lebhaften, schmissigen, swingenden Nummern wie „Over And Out“ oder dem Calypso „Joy“ und intensiven Mutmachern („Sisters“, „March On“) und erreicht so jeden im knallvollen Keller. Außerdem spart die Tastenfrau nicht mit sorgsam formulierten Danksagungen an die vielen kleinen Leute, die Gutes im Verborgenen tun („Heroes“) oder an die Birdland-Säulen Manfred Rehm („Was hat dieser Mann in seinem Leben nicht schon alles geleistet? Unglaublich!“) und Robby Komarek („Du bist ein Engel!“). Ganz nebenbei platziert sie noch ein innerlich strahlendes, schwereloses „Let It Be“, bei der nicht wenige im atemlosen Gewölbe ihre aufkommende Rührung herunterschlucken müssen. So karg, so schön erklang die Beatles-Abschiedsballade außerhalb des Originals noch nie. Dank Lynne Arriale, die den Optimismus als zusätzliche Tonart etabliert hat.

Jede Emotion versteht sie, in Noten zu kleiden, das fragende, unruhig taumelnde „Persistance“, bei dem der neue Drummer Lucasz Zyta eine Nuance zu offensiv am Intensitätsregler dreht, ebenso wie das brandneue „Love“, eine Kreuzung zwischen pastoralem Choral und Schlaflied – extrem ohrwurmtauglich! Ihre Sensoren stehen während des gesamten Abends auf Empfang, bereit, jeden Impuls aufzunehmen, der von ihren Begleitern oder der Zielgruppe im Zuschauerraum ausgeht. Eine eminent wichtige Rolle spielt dabei der Bassist, im aktuellen Fall Jasper Somsen, der mit delikaten, kontemplativen Linien die Wirkmacht ihrer Girlanden ähnlichen Läufe noch um ein Vielfaches vergrößert.

Wenn dann nach der zweiten oder dritten Zugabe langsam wieder die Lichter angehen, wirkt das vereinzelte „Ooh!“ des Publikums noch eine Spur ehrlicher als sonst. Und auch Lynne Arriale, die mit ihren 66 Jahren immer noch über ein schier unerschöpfliches Reservoir an kreativer Energie und sozialer Kompetenz verfügt, hätte augenscheinlich gerne weitergespielt, die letzten Minuten bis Mitternacht und noch weit darüber hinaus Geschichten erzählt und den Leuten Mut gemacht. Ein Konzert wie dieses tut einfach gut. Mehr kann man von Musik schlicht nicht verlangen.