Lou Donaldson Quartet | 22.05.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

„Good Gracious!” Natürlich ist der Mann mega-altmodisch. Und er macht gar keinen Hehl daraus. „Straight ahead Jazz“, verspricht er mit seiner unverwechselbar hohen Stimme gleich nach dem ersten Song. „No Fusion, no Confusion, no Kenny G., no Sypro Gyra, no Puff Daddy…” Dafür der „Blues Walk“, dieses einfache, blaue, direkt auf dich zumarschierende Ding in kerzengeraden zwölf Takten. Diese Erkennungsmelodie eines ganz bestimmten Lebensgefühls, diese erhabene Eleganz, dieses Brummen in der Magengegend. Niemand kann ihm davonlaufen. Schließlich wissen wir nicht erst seit Bernd dem Brot, dass der Blues gut zu Fuß ist. Denn Lou Donaldson hat diese Message bereits 1958 zielsicher auf den Weg gebracht.

„Good Gracious“ bedeutet „Du liebe Güte“ und ist noch so ein Titel, „Gravy Train“ und „Alligator Boogaloo“ andere. Deswegen sind sie diesmal alle gekommen in den brechend vollen Neuburger „Birdland“-Jazzclub. Nicht bloß die üblichen Verdächtigen, die man an den grauen Schläfen erkennt, sondern Mitt- und Endzwanziger. Einer gar aus Tübingen, Keyboader in einer Soul- und R´n´B-Band. Ohne Lou Donaldson, behauptet er, gäbe es keine schwarze Musik, keinen James Brown, keinen Sly Stone, keinen Bill Withers, keinen Rap und keinen Funk. Schön, dass wenigstens manche der Jungen wissen, dass die Geschichte der Musik nicht mit der Erfindung des MP3-Players beginnt.

Der Altsaxofonist aus Badin/North California ist der letzte Überlebende der legendären „Blue Note“-Ära, jener Zeit, als Jazz noch die Popmusik Amerikas war. Natürlich ein Fossil, aber ein quicklebendiges. Eines, das auf der Bühne wirkt, als sei es jahrzehntelang im Kälteschlaf gelegen, nur um für dieses eine Konzert wieder aufgeweckt zu werden. 78 Jahre soll Lou alt sein – schon nach wenigen Sekunden dieses Wahnsinnsabends ist man geneigt, die Glaubwürdigkeit der seriösesten Jazzlexika in Zweifel zu ziehen.

Von der ersten Sekunde an stimmt schlicht alles: das rasante Timbre, dieser einzigartige, knorrige Ton, die angeschleiften Phrasierungen. Donaldson ist ein Trendsetter, einer dieser grundsoliden Altsaxofonisten wie Charles Parker oder Johnny Hodges, die mehr durch das Horn singen, als in es hineinzublasen. Und er verströmt Power, Lebensfreude und einen grandios hinterfotzigen Humor. Mal brettert er in Schussfahrt durch rasend schnelle Bebop-Themen wie „Anthropology“ (O-Ton: „Nichts für Fusionmusiker. Dafür muss man üben“), mal schwelgt er hemmungslos durch Satchmos „Wonderful World“ und lässt dann in seiner Lieblingsrolle als fistelnder Bluesshouter zum wiederholten Mal seine unverwüstlich-göttliche „Whiskey drinkin` Woman“ auf die Leute los.

Lou ist ein Gesamtkunstwerk. Eines, das die Unsterblichkeit des echten Jazz symbolisiert. Eines, das im 21. Jahrhundert pausenlos gesampelt wird und dem Musiker als Sidemen huldigen, die locker jede Halle mit ihrem eigenen Namen füllen würden. Randy Johnston zum Beispiel, ein durchdringender, waghalsig konstruierender, pyromanisch intensiver Gitarrist. Oder Kyle Koehler an der Hammondorgel, der gleichzeitig mit Fußbass und linker Hand einen Mördergroove entfachen kann und mit der Rechten Soli platziert, die wie Puzzleteile auf das Altsaxofon passen. Und dann wäre da noch der fantastische japanische Drummer Fukushi Tanaka; eine Art Bandturbo, geschmack- wie druckvoll mit tausend Rhythmen jonglierend.

Das geheimnisvoll-orientalische„Harlem Nocturne“, das laszive „Midnight Creeper“ und viele andere Songs sind kleine dreckige Perlen, Meisterwerke voller edler Patina. Nicht zu vergessen die göttlichen, witzigen Ansagen, dieses uneitle Lehrstück für Entertainment: Bei einem wie Lou Donaldson hat allein die Krawatte schon mehr Authentizität, als bei den meisten schwarzen Chartbustern die gesamte Diskografie. Selbst „The short One“, das definitiv kürzeste Stück des Jazz, passt wie die Klappe aufs Saxofon. Eine Note, bumm, Schluss, aus, fertig! Alles was Musik ausmacht, genau auf den Punkt gebracht.