Howard Levy – Anthony Molinaro | 30.05.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Alle Chefs von Porzellanmanufakturen hätten wohl beim Anblick des Lulatschs dort oben auf der Bühne entweder die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen oder aber eine veritable Marktlücke gewittert.

Howard Levy hat eine Tasse in der Hand. Ein bayerisches Kaffeehaferl aus dem Fundus der Bar des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs. Nicht etwa zum Zwecke des Durstlöschens. Der lange Kerl aus Chicago zweckentfremdet das tönerne Trinkgefäß vielmehr dermaßen, dass hinterher kein Löffel mehr passen möchte: Er bläst hinein – mit einer diatonischen Mundharmonika. Dabei entsteht ein ganz eigener Sound, etwas Außergewöhnliches, ziemlich Markantes, noch nie zuvor Gehörtes, und wundern wird sich angesichts des völlig ausgeflippten Ansatzes darüber eigentlich niemand mehr. Etwas zwischen Posaune und Trompete; auf jeden Fall größer als eine kleine Harp.

Allenthalben unbändige Vitalität. Sämtliche Klischees dieses instrumentalen Mauerblümchens, das bislang nur entweder in Western oder auf Bluesplatten auftauchen durfte, führt Levy blitzschnell ad absurdum. Gerade deshalb kredenzt er „All Blues“, eine ziemlich bluesfremde Lesart von Miles Davis` Erkennungsfanfare. Oder aber Duke Ellingtons „Mood Indigo“ als neblige Verlockung, eine wilde Exkursion durch den Notendschungel namens „Amazonas“ und Levys – man kann es nicht anders ausdrücken – magisches „Summertime“. Im Zusammenspiel mit Pianist Anthony Molinaro, seinem Duopartner, scheint dabei die Luft zu flirren. Der Flügel bullert wie ein überhitzter Kachelofen, die Läufe schleppen sich scheinbar mühsam über die Tasten. Auf allem liegt eine dramatische, bleierne Schwere.

Es sind Howard Levys Facetten, die in den Bann schlagen. Seine Harp schwingt sich mit wenigen Tönen zum voll gültigen Ausdrucksmittel auf, weil sie in Höchstgeschwindigkeit letztendlich doch alle Zwischentöne – und nicht nur die Halbtöne – hervorzaubert: Spiel mir das Lied vom Leben! Der schlaksige Amerikaner, der sich in Hollywood auch als Filmkomponist einen gewichtigen Namen erwarb (unter anderem „Striptease“ mit Demi Moore) klingt, als stünde er in der Mitte eines Strudels. Ein Spielball der Naturgewalten, im konkreten Fall der Ideenfülle, die ihn bei jedem Song beinahe ersaufen lässt.

Die Kurve kriegt er jedoch stets. Ganz im Gegensatz zu Molinaro am Klavier, dessen Ansatz irgendwo zwischen schlampigem Bach-Interpreten und peniblem Jazz-Improvisator hin- und herpendelt und der schlicht zu viele Noten braucht, um zu sagen, was gesagt werden muss. Manchmal hat es auch den Anschein, als wolle er Levys stupender Virtuosität ein Konglomerat aus Kunststückchen und pianistischem Blendwerk entgegensetzen – nicht wirklich originell, manchmal sogar einschläfernd.

Die wachen Momente an diesem Abend, der nicht unter drei Zugaben enden will, kommen von dem Lulatsch mit dem „Maulhobel“. Mit seinen „Overblows“, diesen Wucherungen am unteren Rand des Ansatzes, dieser unglaublichen Atemtechnik, dieser stilistischen Unendlichkeit, schafft es Howard Levy, dass sich in den Köpfen der Zuhörer irgendwann alles dreht. Als wäre man ein Kaffeehaferl nach dem 20. Mundharmonikasolo.