Lorenzo Petrocca „With Love To Pat Martino“ | 28.01.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Patrizio Carmen Azzara war ein kleiner Sizilianer – aber bloß vom Körpermaß her. Als Gitarrist hörte er auf den Namen Pat Martino, und war ein absoluter Riese – viele sagen sogar, der beste Saitenvirtuose, den der Jazz jemals sah. Einer seiner zahllosen Bewunderer ist Lorenzo Petrocca, ein ebenfalls klein gewachsener, gedrungener Kalabrier an der Grenze zu Sizilien und ebenfalls Gitarrist. Spätestens seit seinem fulminanten Tributkonzert für sein großes Idol im restlos begeisterten und erstmals wieder mit 50 Prozent ausgelasteten Neuburger Birdland-Jazzclub muss man konstatieren: Petrocca ist inzwischen selbst ein ganz Großer auf der halbelektrischen Gitarre geworden.

Die Art, wie der 57-Jährige und sein fein aufeinander abgestimmtes Quartett an diesem ganz besonderen Abend Pat Martino huldigen, hat rein gar nichts mir Trittbrettfahrerei oder dem Kopieren von erfolgversprechenden Rezepturen zu tun. Der Deutsch-Italiener, der in sich den zurückliegenden Jahrzehnten durch eine Reihe von brillanten Auftritten bereits einen klingenden Namen im Hofapothekenkeller erspielt hatte, wandelt diesmal einfühlsam auf den Spuren des legendären Kollegen und Impulsgebers, der am 1. November starb – natürlich mit den Markenzeichen Martinos, Highspeed-Läufen und halsbrecherischen Grifffolgen. Aber Petrocca und seine Kollegen schaffen mit raffinierten Arrangements einen ganz eigenen Zauber, der nicht nur mit ohrenbetäubender Lautstärke und überschäumender Intensität punkten will. Die vier erlauben dem Publikum, zuzuhören, jede Note aufzusaugen, ohne dabei zu überfordern. Es sind die kleinen, witzigen Anekdoten im herrlich akzentuierten Italo-Deutsch, mit denen der Gitarrero, der früher als Boxer sein Glück versuchte, das Faszinosum Pat Martino zu erklären versucht. Etwa, indem er immer wieder Stücke aus dessen Album-Klassiker „El Hombre“ intoniert, wie etwa „Once I Loved“ aus der Feder von Carlos Antonio Jobim, bei dem er und sein kongenialer, erstaunlich ideenreicher Tenorsaxofonist Jürgen Bothner im Einklang wie Surfer über die Harmoniewellen gleiten, Wes Montgomerys temperamentvollen „Road Song“ oder das süffige „Just Friends“.

Die Martino-Komposition „One For Rose“ entpuppt sich als wieselflinkes, druckvoll kredenztes, fluoreszierendes Stück, das virtuos zwischen Funk und Post-Bop hin und her tänzelt. Petrocca vollzieht dabei Sprints auf dem Griffbrett, bei denen andere sich wahrscheinlich sämtliche Finger gebrochen hätten. Seine rasenden, sensorisch zwischen Bauchgefühl und perfekter Technik ausbalancierten Linien verankern sich blitzartig in jedem Gehirn. Zehn feingliedrige Finger tanzen auf dem Steg mit der Eleganz und Dynamik von Spinnen, die Synchronisation zwischen rechter und linker Hand funktioniert mit der Präzision eines Computerlaufwerks. Da fällt es auch nicht sonderlich ins Gewicht, dass die Hammond B3 von Thomas Bauser unmittelbar vor dem Auftritt ihren Geist aufgab und dieser den normalerweise fetten Orgelsound auf einem etwas dünneren Keyboard imitieren muss. Gemeinsam mit dem punktgenau abliefernden Drummer Armin Fischer entfaltet sich dennoch (oder gerade deshalb) ein fein gewobener Teppich aus Sound, Klang und gitarristischen Träumen.

Als Paradebeispiel für die Wirkung des Martino-Petrocca-Sounds wäre „Sunny“ zu nennen, dieser Gassenhauer, der in jedem Ohr festsitzt. Dies aber nicht etwa wegen Boney M., sondern weil ihm sein Komponist Bobby Hebb und Pat Martino Kultstatus verliehen haben! Petrocca „überdreht“ bewusst die ostinaten Figuren, stürzt sich lustvoll in sämtliche verfügbaren Akkordfolgen und genießt die heimelige Atmosphäre des Kellergewölbes in vollen Zügen. Am nachhaltigsten in Erinnerung bleibt freilich die kurze Eigenkomposition „Little Song For Pat“, in der Lorenzo alleine dem klein gewachsenen, großen Maestro, der ihn selbst inspirierte, 2011 auf derselben Bühne stand und eines der besten Konzerte in der bald 64-jährigen Geschichte des Birdlands ablieferte, dankt. Es ist eine Wohltat für verwundete Seelen, der leise Höhepunkt phänomenaler 120 Minuten, die leider immer noch behördlich verordnet um 22 Uhr enden müssen. Denn normalerweise hätten die Musiker bis Mitternacht weitergespielt – und keiner im Kellergewölbe wäre vorzeitig gegangen.