Kenny Washington Quartet | 22.01.2022

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Kenny Washington ist ein ziemlich kleiner Mann. Wenn sich der Jazz-Sänger mit seinen jeweils zwei Köpfe größeren Band-Kollegen zum tosenden Applaus verneigt, wirkt dieses Bild fast ein wenig kurios. Aber sängerisch ist Washington, der im Gospelchor einer Baptisten-Gemeinde seine Weltkarriere eher unspektakulär begonnen hat, ein ganz Großer.

Das gilt für seine phänomenale, über nahezu vier Oktaven reichende stimmliche Qualität im Blues, im Skat, in der Ballade bis hin zum Pop. Und es gilt vor allem für seine musikalische Tiefe. Der Mann aus New Orleans macht kein großes Gewese, er hat nichts Affektiertes oder auf Effekt angelegte Gesten – er macht, in seinem perfekt sitzenden schwarzen Anzug einfach nur große Musik.

Technisch sowieso, vom Jazz-Schlager „Black bird“ bis zur umjubelten Zugabe „Georgia on my mind“, von den leichten, blitzsauberen Kopfstimmen-Passagen irgendwo weit über der normalen Tenorlage bis zu der emotionalen Kraft im Blues und der nahe am klassischen Belcanto entlanggeführten Balladenlyrik in Songs wie „Come on, dance with me“. Auch bei verrückten Sprüngen über zwei Oktaven im Georgia-Song bleibt Washington bei seinem ruhig-eleganten Stil, er stemmt diese extremen Spitzentöne nicht hinauf, sondern holt sie gleichsam mit einer gewinnenden Geste für das Publikum auf die Bühne herunter.

Für einen solchen Bandleader und Sänger braucht es satisfaktionsfähige, also wirklich gute Mitstreiter. Die hat Washington im witzig-virtuosen Pianisten Paul Kirby, im bravourösen Bassisten Martin Zenker und in dem aus der Mongolei stammenden Schlagzeuger Min-Chan Kim an seiner Seite. Die drei setzen in der Körpersprache mit ihrer lebendig-flockigen Art gelegentlich einen kleinen Kontrast zum in sich ruhenden, manchmal aristokratisch angehauchten Stil Washingtons.

Was die Musikalität angeht, bewegen sich die drei Instrumentalisten mit dem Sänger auf einer Ebene. Martin Zenker, im Birdland Jazzclub von vielen Auftritten her hochgeschätzter Ausnahme-Bassist, bringt das Publikum immer wieder ins Staunen. Er zeigt, dass ein Kontrabass viel mehr sein kann als ein angenehm sonores Begleit- und Rhythmuselement mit seltenen solistischen Einlagen. Zenker übertrifft sich an diesem Abend manchmal selbst. Er holt aus seinem Bass Melodien, verspielte Tongirlanden und improvisatorische Varianten heraus, die einen zum Träumen verführen.

Mit Paul Kirby, dem frech bemützten Mann am Bösendorfer-Flügel, hat er einen Partner, der aus dem gleichen musikalischen Edelholz geschnitzt ist. Kirby hat von impressionistischen Akkord-Welten über locker hingeworfene Motive bis hinein in die hohe Kunst eines klassischen Variationensatzes alles zu bieten. Min-Chan Kim hat, was Melodie und Harmonie angeht, als Schlagzeuger naturgemäß weniger Möglichkeiten. Aber der Mann aus Zentralasien überzeugt durch ein souveränes Spiel mit dem dritten musikalischen Grundelement, dem Rhythmus. Mit Intensität, gerade in langen Piano-Passagen, bringt er den Sound seiner Becken und auch seine drums ins Spiel. Der Vierte im Bunde ist selbstbewusst, aber uneitel und wird so für die anderen drei zur Inspiration.