Eva Klesse Quartet | 15.01.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Noch so ein trotziges Corona-Konzert wider die allgemeine Tristesse. Wie das berühmte gallische Dorf stemmt sich der Birdland-Jazzclub seit Wochen erfolgreich gegen das Gefühl der flächendeckenden kulturellen Austrocknung. Zum mittlerweile vierten Mal in diesem noch jungen Jahr hat der Hofapothekenkeller seine Pforten geöffnet, die Leute strömen in die Katakomben und füllen das limitierte Besucherkontigent bis auf den letzten verfügbaren Platz. Es herrscht tatsächlich – man wagt es kaum zu schreiben – ein Anflug von Normalität. Mit einer hinreißenden, außergewöhnlichen, inspirierten und bis in die Haarspitzen motivierten Formation, sowie einer Leaderin, die vom Drumset aus ein packendes wie anregendes Sammelsurium an musikalischen Kurzgeschichten ordnet, strukturiert und mit sympathisch-empathischer Conference präsentiert. Kurzum: Das Eva Klesse Quartett ist genau die richtige Band am richtigen Ort zur richtigen Zeit!

„Wir freuen uns alle, dass Sie da sind und dass es solche Möglichkeiten gibt, wieder zu spielen, nach dieser langen, schlimmen Zeit!“ Die 35-Jährige, die als Frau am Schlagzeug und als Chefin einer reinen Männergruppe immer noch eine Ausnahmestellung einnimmt, findet auch die richtigen Worte. Und die richtigen Titel. „Hearts On Hold“ zum Beispiel ist ein neuer Song, inspiriert durch die Zeit, in der man seine Liebsten nicht mehr sehen und in die Arme nehmen konnte. Ein emotionaler Grundton prägt die langsame Eingangssequenz, behutsam, fast zärtlich berührt Pianist Philip Frischkorn die Tasten des Bösendorfers, bewegt Marc Muellbauer die Saiten seines Kontrabasses, streichelt Eva Klesse mit den Besen die Trommelfelle, während Altsaxofonist Evgeny Ring seine wenigen Töne mehr anhaucht als bläst. Ein musikalischer Vegetationsprozess unter der Oberfläche, den Klesse dann behutsam über die Drums nach oben fährt, irgendwann zu den Sticks greift und zusammen mit ihren Komplizen eine lichtdurchflutete Halle aus funkelnden Harmonien baut.

Das ist die eigentliche Kunst der Tonskulpturen von Eva Klesse und Co.: Herrliche, teils kompakte, teils ausgedehnte Ton-Erzählungen zu kreieren, die zum fantasievollen Miterleben und Mitreisen einladen, Geschöpfe und Zustände zu erfinden oder zu beschreiben, wie den „Einsiedlerkrebs“, der sich schleppend, zögerlich, tapsig, unsicher vorwärtsbewegt, das etwas chaotische „Mr. Liu“, einem Tourmanager gewidmet, der die Gruppe drei Wochen lang durch China begleitete, oder das herzzerreißende „Intermezzo For People Floating in Fears“. Ohne eine organisch aufeinander abgestimmte Formation wie ihre aktuelle wäre aber auch die erste deutsche Instrumentalprofessorin für Jazz an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover (seit 2018) nur eine von vielen im Kanon des Jazz. Ein Klavier-Seiltänzer wie Philipp Frischkorn versteht es, mit seinen wunderbar strukturierten Läufen die Musik zu Sträußen zusammenzubinden, Evgeny Ring gehört vor allem wegen seiner schillernden Tongirlanden seit Jahren zu den besten Altsaxofonisten der Republik und Marc Muellbauer erweist sich in Neuburg einmal mehr als das Chamäleon am Kontrabass, das jede Formation noch ein bisschen besser machen kann, und trotzdem viele eigene, unscheinbare Akzente setzt. Eva Klesse selbst trommelt nicht irgendwelche Standardbeats herunter; sie überkreuzt vielmehr immer wieder ihre Rhythmen, nuanciert geschickt zwischen Laut und Leise, so als würde man eine Lichtquelle nach oben oder nach unten dimmen. Und wem es nicht auffiel: Die Frau am Schlagzeug braucht keine Soli, um zu glänzen. Sie ordnet ihre Fähigkeiten ausnahmslos der Musik unter, zu der jedes Bandmitglied Kompositionen beisteuern darf.

Viele der dargereichten Stücke stammen aus dem neuen Album, das im Herbst erscheinen soll und ein weiteres Kapitel ihres kreativen Buches öffnet. Es scheint noch munterer, noch ein wenig lustvoller zu werden, manchmal ein bisschen sakral und besinnlich, und natürlich ganz im inzwischen unverwechselbaren Klesse-Sound. Dazu gehört auch ein ansteckendes Stück zu Ehren des großen Bassisten Dave Holland, das einen schrägen Groove entwickelt, der einem nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Faszinierend ist dabei die Leichtigkeit, mit der alle vier auf höchstem Niveau interagieren und improvisieren. Ein Produkt tiefen, kollektiven Vertrauens.