Der Schlagzeuger kommt aus der Mongolei, der Bandleader und Saxofonist aus der amerikanischen Jazz-Urzelle New Orleans, der Pianist aus Österreich und der Mann am Kontrabass aus Deutschland. Schon diese nicht alltägliche, die halbe Welt umgreifende Quartett-Besetzung ließ Spannendes im Birdland-Club erwarten. Die exquisite musikalische Qualität aller vier Musiker – Min-Chan Kim, Jesse Davis, Oliver Kent und Martin Zenker – machte den Abend zu einem echten Geschenk.
Schade, dass wegen der (noch) obwaltenden Corona-Umstände nur knapp drei Dutzend Zuhörer den Auftritt des Jesse Davis Quartet genießen durften. Das Publikum wusste um dieses Privileg: Der Beifall zur pandemiebedingten „Sperrstunde“ um 22 Uhr und zwischendurch war so kräftig, als wenn der Birdland-Club voll besetzt gewesen wäre.
Die vier Jazzer auf der Birdland-Bühne beherrschen ihre Instrumente mit einer hinreißenden Leichtigkeit, sie stellen ihr virtuoses Können nicht zur Schau, sondern veredeln ihren Sound mit musikalischem Charme und auch mit eine guten Prise Spielwitz. Kurzum: Diese Weltklasseband erzählt tolle musikalische Geschichten. Die Soli sind erfrischend kurz und knackig, nicht ins Selbstverliebte ausufernd, wie es bei manchen Jazz-Größen durchaus einmal zu beobachten ist.Musikalische Tiefe geht vor Breite und Weite, auf Effekt angelegtes Brimborium lassen diese vier Könner weg.
Die wahre Qualität dieser vier Jazzgrößen zeigt sich im dichten, fast kammermusikalisch angelegten Zusammenspiel. Oliver Kent entlockt dem feinen Bösendorfer-Flügel eine betörende Welt von Klangfarben, Melodien, Trillern und filigranen Läufen, ihm zuzuhören ist eine anhaltender Genuss, auch wenn er gerade „nur“ den Mann am Kontrabass mit ein paar elegant hingeworfenen Akkorden begleitet. Der Bassist Martin Zenker lässt sein nobles Instrument regelrecht aufblühen, wenn er seine warmen, dunklen Kontrapunkte zum Saxofonsound des Bandleaders Jesse Davis setzt.
Und Min-Chan Kim steuert durchaus mal einen richtigen Knalleffekt auf der großen Trommel bei, bemerkenswerter aber ist die Fähigkeit des mongolischen Schlagzeugers, immer wieder einen neuen, überraschenden musikalischen Dialog mit jedem der drei Mitstreiter zu führen. Jesse Davis ist der Namensgeber der Gruppe und der Bandleader, aber in keiner Weise ein Dominator. Ihn interessiert immer, was die anderen gerade machen, welche Einfälle sie zur musikalischen Erzählung beizutragen haben. So wirkt er auch bei den gelegentlich aufblitzenden wilden Glanzlichtern als Inspirator, der mit der Antwort vom Bass, vom Piano und auch vom Schlagzeug oft genug an diesem Abend belohnt wird. Beim Stück „Yesterdays“ ist dieser Musikstil vielleicht am schönsten ausgeprägt.
Die Musik dieses Quartetts firmiert unter Mainstream. Das stimmt, aber der Begriff beschreibt diese zwei Stunden im Birdland-Keller nur ansatzweise. Jesse Davis und seine Bandhaben vorgeführt, wie besonders, wie ausgefeilt und wie ausgefallen der normale Mainstream sein kann.