Lorenzo Petrocca Organ Trio | 01.02.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Dieser eigentümlich kalorienhaltige Sound. Heiß, fettig, sämig und süß gleitet er in den Gehörgang, dickflüssig, stoisch, mächtig wie akustische Lava. So könnten aber ebenso Nebelschwaden klingen, Stalaktiten oder prasselnder Regen, schlicht eine ganze Reihe von Naturkapriolen; Alles erzeugt unter gütiger Mithilfe der Technik.

Ach, die Hammond B 3! Dieses herrlich antiquierte Pedalmonster, dessen glubbernde, anschwellende Töne sich innerhalb von Sekunden zu einem freundlich grinsenden Alptraum aus den 50ern erheben, dieses Lieblingsvehikel der allerersten Fernsehwerbung, das einem den Weg zu einer bestimmten Zigarette weisen sollte, anstatt gleich in die Luft zu gehen. Aber auch dieser diabolisch schwurbelnde Krachkasten, der eine Generation von Hard Rockl-Jüngern bei Deep Purple in kollektive Ekstase versetzte. All jene Ingredienzien stecken in besagter Orgel, die an diesem Abend den ehrwürdigen Bösendorfer-Flügel in die Bühnenecke des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs gedrängt hat. Und Alberto Marsicos Instrument klingt ganz besonders altertümlich, ist aber auch ein ziemlich museales Stück, Baujahr 1958, für das Liebhaber gut und gerne ein Vermögen springen lassen würden.

Eine erkaltete Zigarre lässig im Mundwinkel baumelnd, lässt der Italiener fast aufreizend den Groove von der Tastatur abtropfen, während am Mischpult heftig die Lichtlein zucken. Marsico ist ein musikalischer Zuckerbäcker, der sich das Wohlbefinden des Bauches als Lebensziel auserkoren hat, ein fingerfertiger Küchenmeister, der aus den 91 elektromagnetisch abgenommenen, synchron angetriebenen Zahnrädern des Laurens Hammond tausend verschiedene Gerichte zaubern kann, alle von feinem Geschmack und erlesener Güte.

Die Dosierung der Zutaten macht das Erfolgsgeheimnis der B 3 aus; nicht bloß in nostalgisch verklärten früheren Tagen, sondern vor allem bei diesem gegenwärtigen Konzert. Und so wirkt Lorenzo Petroccas schlanke Gitarre wie eine Trimm-dich-fit-Alternative in diesem opulenten Menü, eine stilvolle Reminiszenz an die klassischen Orgeltrios eines Wes Montgomery oder Jimmy Smith. Nur eben frischer, würziger, athletischer.

Wie ein Kicker der Squadra Azzura dribbelt Petrocca durch den Saitenwald, immer kontrolliert, mit Überblick, überraschenden Wendungen, dem Gefühl für den tödlichen Pass und unnachahmlichen Vollstreckerqualitäten. Seine rasanten Single-Note-Linien setzen permanent das Griffbrett der Halbakustischen in Brand, in entscheidenden Momenten weiß er sich jedoch auch angenehm zurückzunehmen. Etwa wenn er der zeitlupenhaft tropfenden Jobim-Bossa „Fotografia“ eine warme, sinnliche Ausstrahlung abringt, oder in „Maurizio“, einer seinem Sohn gewidmeten Nummer, fast liebevoll die Melodie abtastet.

Auch der Rest des Programms wirkt wie eine Anreihung leckerer Tiramisu-Stückchen. Eine wohlfeile Verschmelzung von Orgel und Gitarre, deren effizient-swingende Bindung der einzige Nicht-Italiener, Armin Fischer am Schlagzeug übernimmt. Und so zergeht alles auf der Zunge: Pop von Stevie Wonder („Isn´t she lovely“), Blues von Ray Brown („F.S.R.“), Edel-Jazzstandards („East of the Sun”) – und als der Keller unter der Hofapotheke schon fast leer war, sogar Anflüge von John Lords „Lazy“; der grandiose (inoffizielle) Höhepunkt eines höchst vergnüglichen Abends.