Loren Stillman, Tenor- und Altsaxofonist, Komponist und Bandleader, geboren in London, heute im US-Bundesstaat Montana zu Hause. „Weil da weniger Leute sind,“ wie er im Laufe seines Konzerts im Neuburger Birdland sagt. Zur Zeit von Corona lebte er in Köln und lernte dort den Schlagzeuger Jones Burgwinkel und den Bassisten Robert Landfermann kennen, die beide seit Jahren zum Besten gehören, was Deutschland in Sachen Jazz zu bieten hat.
Da sieht man mal wieder, dass sogar eine Pandemie etwas Gutes zur Folge haben kann. Das Trio aus diesen Musikern zum Beispiel, das sich immer dann trifft und ein paar Gigs spielt, wenn Stillman im Lande ist. Was kein leichtes Unterfangen ist, weil man sich ja erst wieder zusammenfinden muss, noch dazu angesichts einer Musik, hinter der ein Plan steht, nämlich der, „frei“ zu agieren, gleichzeitig aber die Details der musikalischen Form nicht aus den Augen zu verlieren. Das stellt ein Trio, das improvisieren will, vor eine nicht zu unterschätzende Herausforderung und setzt beim Publikum Konzentrationsbereitschaft voraus.
Stillman, durch seine Zusammenarbeit mit Charlie Haden. Paul Motion, Carla Bley und John Abercrombie als Vertreter des Post-Bop in der Szene fest verankert, beginnt mit „Backyard“, „Unsung“ „Time And Again“ und „Fearless Dreamer“ aus eigener Feder. Das sind die Stücke auf der Setlist, die schwerer zugänglich sind, verraten aber auch in besonderer Weise das Erbe von Lee Konitz, Warne Marsh und Paul Motian, dem sich Stillman verbunden fühlt. Nach der Pause kommt die Zeit für die typischen Bebop-Themen wie in „Waterworks“ und „Folk Song“, für den unwiderstehlichen Groove von „Between The Devil And God“ und für die Adaptionen. Jim Pepper’s „Wichi Tia To“ und Charlie Haden’s „In The Moment“ sind Musterbeispiele für Bearbeitungen, bei denen das Original in all seiner Schönheit und Einzigartigkeit erhalten bleibt, ohne dass deswegen derjenige, der sich ihrer annimmt, an Eigenständigkeit verlöre.
Stillmans lange Bögen sind ein Genuss, sein Spiel ist geprägt von großer Intensität, ohne dass er darum ein großes Gewese machen würde. Landfermann entlockt seinem Bass einen warmen und doch so ungemein prägnanten Ton und sein mit dem Bogen gespieltes Intro als Einstieg ins zweite Set ist von geradezu hinreißender Eleganz. Und Burgwinkel ist – um es ganz kurz auf den Punkt zu bringen – ein Meisterdrummer. Was ihm innerhalb des ausgesteckten Parcours einfällt, ist einmal mehr sensationell. Was auch immer ihm spontan passend erscheint, wird per Hände, Arme, Beine und Füße in Rhythmus umgesetzt. Das kann sich durchaus mal sperrig anfühlen oder anhören, aber man kann sich sicher sein, dass in seinem Inneren quasi permanent ein Metronom mitläuft und den Beat vorgibt, eine innere Uhr, deren Ticken man zwar nicht unbedingt akustisch wahrnimmt, auf deren Funktionieren man sich aber blind verlassen kann.
Am Ende ist es ein Abend, bei dem so vieles, was Jazz ausmacht, zum Tragen kommt. Spontaneität, Komplexität und die Lust an der freien Entfaltung, Emotionalität und das Wissen um die Existenz von Regeln, kompositorische Vielfalt und interpretatorische Reife, die Lust, etwas auszuprobieren und nicht zuletzt ein Publikum, das dies alles zu würdigen weiß, heftig beklatscht und lautstark um Zugabe bittet.