Zwei Schläge auf ein Glöckchen, ein Basstupfer, ein paar fast schüchterne Töne am Flügel. So beginnt Andy Beck’s „Spring“ in der Bearbeitung des schwedischen Pianisten Bobo Stenson. Verhalten, zaghaft und fast unmerklich beginnt der skandinavische Frühling, löst sich die Erstarrung des Winters, machen sich Bewegung und Farben breit. Aquarellene, in sich verwobene zuerst, später dann kräftigere.
In „Kingdom Of Coldness“, der letzten Nummer vor der Zugabe, wird Stenson noch einmal auf dieses Bild zurückkommen, das man sogar als Rahmen sehen kann für ein Konzert, in dem so vieles passiert, das aber dennoch in jeder Phase die Handschrift Stenson’s trägt. Er ist ja beileibe kein Unbekannter. Einer der ersten ECM-Künstler überhaupt, langjähriger Weggefährte von Jan Garbarek, Charles Lloyd und Tomasz Stanko, Partner von Gary Burton, Sonny Rollins und Stan Getz. Ein Pianist, der sich in der Vergangenheit vieler Strömungen, Richtungen und Musiker annahm und dies auch heute, mit 80 Jahren, noch tut und dabei auch noch eine völlig eigenständige Stilistik entwickelt hat.
Feiner Anschlag, fragile, kammermusikalische, teils minimalistische Interpretationen, eine ungemein lyrische und gleichzeitig reduzierte Ausdrucksweise, bei der Pausen fast ebenso wichtig sind wie gespielte Töne. Große Bedeutung hat für ihn die poetische Komponente, die sich in Klangmalereien ausdrückt. Schriebe jemand den Wettbewerb aus, das Phänomen der Aurora Borealis in Klänge umzusetzen, hätte Stenson beste Chancen. Er mag ein Individualist und seine Vorgehensweise mag ungewöhnlich, ja, unorthodox sein, aber ein Eigenbrötler ist er deswegen ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Er vertont mit Silvio Rodriguez einen kubanischen Singer/ Songwriter, streift nebenbei Don Cherry und bringt damit den Free Jazz in Erinnerung, verbeugt sich mit „Unquestioned Answer“ vor dem amerikanischen Komponisten Charles Ives und dessen Werk, gibt via Alfred Janson’s Komposition „Ky And Beautiful Madame Ky“ über den ehemaligen vietnamesischen Machthaber und seine Gattin eine politische Stellungnahme ab, bevor er und seine Band das Publikum musikalisch mal eben nach Katalonien entführen. Und wer nach Spuren von Bela Bartok und Erik Satie sucht, wird auch sie finden.
Seine Band? Ein Traum! Seit fast zwei Jahrzehnten sind Stenson, der Kontrabassist Andrers Jormin und der Schlagzeuger/Perkussionist Jon Fält eine in sich geschlossene Einheit. Trotz weit auseinander liegender Quellen schafft es das Trio, die unterschiedlichen Energien zu bündeln, stets neu aufeinander zuzugehen, sich immer wieder neu zu finden zu erfinden. Stenson’s klare Konturen, Jormin’s kraftvoll geerdete Basslinien und Fält’s unorthodoxe, witzige Einfälle an den Trommeln, den Becken und an diversen Perkussionsinstrumenten sind perfekt aufeinander abgestimmt. Jeder der drei Musiker für sich mag ein Unikat sein, aber jeder von ihnen hat auch eine unbändige Lust auf spontane Kommunikation. „Wir haben keine feste Art zu spielen“, sagt Stenson. „Die Dinge kristallisieren sich aus dem Moment heraus und wir passen uns an. Das ist die Quintessenz unserer Musik“. Und die Quintessenz dieses Abends im Birdland? – Absolut außergewöhnlich und sogar für erfahrene Jazzliebhaber eine Offenbarung.