Bobo Stenson Trio | 07.02.2025

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Klingt das tatsächlich nach Abschied? Wer sich in den vergangenen Tagen im Umfeld von Bobo Stenson umhört, auch bei seiner Plattenfirma ECM aus Gräfelfing, den beschleicht ein mulmiges Gefühl beim Betreten des Hofapothekenkellers. Bobo Stenson werde danach wohl keine weitere Tournee mehr in Angriff nehmen, heißt es da. 80 Jahre ist der große schwedische Pianist inzwischen alt, das letzte Konzert in Neuburg musste wegen Krankheit abgesagt werden. Nun kommt er wieder mit seinen Dauerpartnern Anders Jormin (Kontrabass) und Jon Fält (Schlagzeug), und es wirkt irgendwie nicht wie ein Lebewohl, sondern vielmehr wie ein Neustart. Stenson, Jormin und Fält kredenzen einen Abend, der dem völlig ausverkauften Birdland-Jazzclub noch lange in Erinnerung bleiben wird – ein Statement für das pulsierende Leben und die Diversität der Musik.

Jeder im Raum weiß, wie Bobo Stenson normalerweise klingt: wie einer, der seine Klavierfinger scheinbar in Wattebäusche hüllt, um noch sanfter, meditativer zu klingen, den Tönen noch mehr Spieldosencharakter zu verleihen. Eine Melodie kann er problemlos in drei Takten zum imaginären Chanson hochhauchen, innig klingt es, sanft auch im Rasanten und bisweilen wie ein spontanes Wiegenlied im Zwischenreich von Traum und Wirklichkeit. Und jeder hat auch ein Derartiges erwartet. Doch der knorrig-sympathische Schwede ist beileibe kein Kitschzyniker, der Klangtapeten als Jazz verkaufen will. Stenson evoziert virtuos Stimmungen, geht von der Dunkelheit ins Licht und wieder zurück, wechselt im Thema flugs die Farbfilter und variiert die Temperaturen auf eine Art und Weise, die man von ihm nicht erwartet hätte. Während sich langgezogene, hügellose Soundlandschaften mit einem Mal in kurze, aber elektrisierende Freejazz-Labyrinthe verwandeln, um dann urplötzlich in kochende, brodelnde Groove-Sümpfe überzugehen (hier sticht vor allem ein über zehnminütiges Hexengebräu seines ehemaligen Kompagnons Don Cherry nach der Pause hervor), haut einen die unbändige Spielfreude des Dreiers förmlich um.

Natürlich bedient Bobo Stenson seinen Ruf als Meister der wohlgesetzten Pausen, als Ton gewordenes Synonym für guten Geschmack, der in seinem Spiel lyrisch, variantenreich und hochsensibel die komplette Geschichte des Jazzpianos mit dem Impressionismus eines Bill Evans, der Abstraktionsfähigkeit eines Paul Bley oder der Linearität eines Brad Mehldau bündelt. Aber gerade seine beiden Partner Anders Jormin (selten klang ein Bass im Hofapothekenkeller raumgreifender, voller, präsenter) und Jon Fält haben offensichtlich einen Heidenspaß, weil sie sich mit allerlei Taschenspielertricks an ihren Instrumenten immer wieder gegenseitig verblüffen. So offeriert Fält in Neuburg das etwas andere Drum-Solo: Von laut zu leise und wieder laut, von der Basstrommel zu Metallringen und aufgeblasenen Backen. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, muss dran glauben. Das Beste bei diesem Trio: Der Unterhaltungswert verteilt sich diesmal zu gleichen Teilen, alle, nicht nur der Pianist, sind Hauptdarsteller. Bobo Stenson, der seinen Mitstreitern allen Raum lässt und glücklich lächelt, nennt dies „freie Kammermusik“.

Und so intonieren sie hymnische Titel wie „Spring“, setzen mit „The Red Flower“ ein an Nordkorea gerichtetes, politisches Statement und lenken mit „Unquestioned Answer – Charles Ives In Memoriam“ sowie „Ky And Beautiful Madame Ky“ von Alfred Janson die Aufmerksamkeit auf zwei ihrer unbekannten Lieblingskomponisten. Gerne hätte sich das restlos begeisterte Publikum noch mehr von dieser wunderbaren, alle Sinne berührenden Musik gewünscht. Doch trotz intensiver Ovationen gibt es nur eine Zugabe. Warʼs das tatsächlich für Bobo Stenson in Neuburg? Nach einem berauschenden Abend wie diesem möchte man dies eigentlich überhaupt nicht glauben.