Lionel Loueke – Guitar Solo | 03.02.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Er stammt aus Westafrika, genauer gesagt aus Benin, lebt seit der Jahrtausendwende in den USA und ist seit 20 Jahren Stammgitarrist in der Band Herbie Hancock’s. Diesen, einen der wichtigsten lebenden Tastenspezialisten des Jazz, bezeichnet er als seinen „musikalischen Vater“, hat dessen Werk mit den Alben „HH“ und „HH Reimagined“ gewürdigt und stellt das Ergebnis an diesem Abend im Birdland Jazzclub in Neuburg vor.

Dazu braucht er nicht viel. Eine siebensaitige Gitarre, eine Loop-Maschine, einen Sampler, ein paar Effektegeräte und eine Stimme, die nur ganz selten einen Text zu singen hat, dafür aber ausgiebig scattet, perkussive Muster erzeugt und das Soundbild anreichert. Und natürlich Hancock’s Kompositionen, die er sich ganz einfach wie nebenbei unter den Nagel zu reißen scheint, verschlingt, durch den Wolf dreht und komplett runderneuert wieder ausspuckt. Das hat nichts mit Respektlosigkeit zu tun, ganz und gar nicht, um so mehr freilich mit enormer Kreativität.

Wären „Watermelon Man“ und „Maiden Voyage“ auch noch Teil seines Programms, wäre es eine Ansammlung von Hancock’s „Greatest Hits“. Denn ansonsten ist alles da, was dem Hancock-Fan guttut. „Hang Up Your Hang Ups“ zu Beginn, dann „Cantaloupe Island“, „Dolphin Dance“ und „Butterfly“. Und kurz vor der Pause sogar „Rockit“ aus dem Album „Future Shock“ von 1983, für dessen Electro Funk Hancock seinerzeit aus dem Jazzlager herbe Kritik einstecken musste, wobei man ihm unterstellte, er verbinde Qualität nicht mehr mit künstlerischer Kreativität sondern mit möglichst hohen Platzierungen in den Charts vermittels gerade angesagter Synthesizer und Drum-Machines.

Lionel Loueke ist das alles egal, denn er zieht hier sowieso sein ganz und gar eigenes Ding durch. In der Leichtathletik sollte die Stabübergabe vor allem reibungslos klappen, hier ist Reibung beabsichtigt und vorprogrammiert. Hancock’s Stücke sind oft nur noch am Hauptthema identifizierbar. Ist das erst mal verklungen, geht die Reise los. Es werden Rhythmen eingescannt, aufgelöst, verschleppt, beschleunigt. Es werden Akkord- und Melodielinien ins Rennen geschickt, sofort wieder modifiziert, abgeändert, durch neue ersetzt. Hier geht es nicht um flinke Finger, sondern um Gestaltungswillen, um teils heftige, teils – wie etwa bei „Tell Me A Bedtime Story“ – melancholisch-schwermütige Stimmungen, um Stücke, die fast davonzufliegen, sich selbstständig zu machen scheinen, quasi in neue Sphären gehoben werden. Wenn man nicht aufpasst, kann man sich angesichts der großen Entfernung von der Ausgangsbasis als Zuhörer durchaus in ihnen verlieren, bevor einen Loueke wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Das Intro, das das Konzert eröffnet, erinnert an Westafrika. Loueke steht nicht nur zu Hancock, sondern auch zu seiner Herkunft. Mit den beiden Zugaben kommt er darauf zurück. Wobei es nicht unbedingt jedermanns Sache ist, bei einem Jazzkonzert zum Mitsingen und Mitklatschen aufgefordert zu werden. Hinsichtlich seiner Wurzeln und der ethnischen Klammer, die Loueke konzeptionell um diesen in höchstem Maße interessanten Abend gelegt hat, ist eine Aktion wie diese andererseits durchaus nachvollziehbar.