Lee Konitz – Kenny Wheeler Quartet | 04.12.1999

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Selbst im jazzverwöhnten Neuburg, in dem die Ausnahmeereignisse schon fast Gewohnheit sind, gibt es Höhepunkte, die noch einmal herausragen. Ein solcher war ohne Zweifel der Auftritt von Lee Konitz, Kenny Wheeler, Frank Wunsch und Gunnar Plümer im Jazzclub unter der Hofapotheke. Das Ereignis wird auf einer CD der Reihe „Live at Birdland“ nachzuhören sein.

Ruhig strahlend wie das Licht einer Kerze in windstiller Winternacht zelebriert das Quartet lyrischen Kammerjazz von sachter Würde und verletzlicher Schönheit. Kenny Wheeler zeigt an Trompete wie Flügelhorn introvertierte Eindringlichkeit. Kaum je schaut er auf. Es gibt wohl keinen anderen, der so in sich hineinhorcht, so intensiv nachfragt wie er, ein Sinnsucher, ein nie zufriedener Faust des zeitgenössischen Jazz: „Where do we go from here?“ Alles kann er, gleichzeitig weiß er auf alles zu verzichten auf seiner Reise durch die Tiefen unserer Seele. In „Onmo“ kultiviert sein Ton eine Verletzlichkeit, die hineinreicht in die tiefste Einsamkeit des Herzens.

Lee Konitz stellt der fragenden Klage Wheelers seine abgeklärt würdevolle Weisheit und kreative Kraft an die Seite; „thingin“ ist sein Altsaxophon, tatsächlich nachdenkend und singend zugleich. Konitz spielt durchsichtig-glänzende Linien, die alles Überflüssige souverän weglassen. Er weiß um die Macht der Pausen, die Wichtigkeit nicht gespielter Noten. In differenzierter Dynamik zieht er die Zuhörer in den Bann des luftig-dichten Gewebes seiner Improvisationen. Lee Konitz ist Urgestein der neueren Jazzgeschichte, schöpft aus einem nahezu unbegrenzten Fundus. Seine Wurzeln reichen weit zurück. Das Lenni Tristano gewidmete „Lennie“ dokumentiert den weiten Weg, den Konitz zurückgelegt hat in mehr als fünfzig Jahren an der Spitze seiner Zeit.

Mit dem kongenial sensiblen Frank Wunsch am Piano, dessen „Mungo“ durch die Gleichzeitigkeit von Dichte und Transparenz besticht, und dem feinfühlig-dynamischen Gunnar Plümer am Kontrabaß haben Konitz und Wheeler ihr Quartett ideal ergänzt. Die vier bilden eine kompakt und komplex verflochtene musikalische Einheit, deren Kraft in erratischer Erhabenheit und unwiderstehlicher Stabilität tief im innersten Wesen der Wirklichkeit gründet.

Wem das nun alles zu gedankenschwer und philosophisch ist, dem sei anheimgestellt, nur eines zu sagen: Es sei wunderbare Musik zu hören gewesen. Das trifft den Kern des Geschehens auch.