Lee Konitz und Neuburg – das ist eine Beziehung der ganz besonderen Art. Keinesfalls das klassisch-bekannte, geschäftsmäßige „Rent-a-star“-Geflecht. Vielmehr eine organisch gewachsene Liäson, fast schon eine Freundschaft.
Hier fand der sanfte Revolutionär in den 80ern, als ihn der Trend vorübergehend aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit spülte und er sich mehr auf`s Unterrichten verlegte, stets offene Ohren. Im Laufe der Jahre trat der Altsaxophonist immer wieder im „Birdland“ auf, dort, wo man bekanntlich allergrößten Wert auf die Akustik legt: keine Mikrophone, keine Verstärker, nur Klang pur! Gerade in einer Zeit, da ohne Steckdosen keine vernünftige Musik mehr möglich schien, mußte sich Konitz in solcher Umgebung fühlen, wie eine Bachforelle im klaren Quellwasser.
Heute, mit 70 Jahren, gilt der zurückhaltende Amerikaner plötzlich wieder etwas. Die Medien bezeichnen ihn als ästhetische Instanz, und selbst große Plattenfirmen reißen sich um ein Recording-date mit dem Mann, der neben Lennie Tristano vor fast 50 Jahren den Cool-Jazz kreierte. Nach Neuburg kommt der neu entdeckte Star dennoch nach wie vor, am Wochenende bereits zum sechsten Mal. Und offenbart dabei eine im Professionalismus höchst seltene Kontinuität: keines seiner Konzerte gleicht dem vorhergehenden, jedes verfügt über seinen eigenen Zauber, ganz abhängig von Stimmungen.
In welchen Kontext Konitz seinen unverwechselbaren Ton, seine schwerelosen Linien und seine intuitive Logik wickelt, weiß selbst dessen musikalisch wahlverwandter Duopartner Frank Wunsch am Piano nie so ganz genau. Trug die vorjährige Performance von „Subconscious Lee“ in der Ottheinrichstadt noch ein mehr düster-melancholisches Flair, so strahlte der Altmeister diesmal etwas aus, das man bei ihm eigentlich kaum vermuten würde: gute Laune, Optimismus, zwar nie im Überschwang, aber unüberhörbar und unübersehbar.
Gerade weil dieser ungebrochen elegante, gleichwohl unaufdringliche Saxophonist mehr denn je von der Überzeugung lebt, Musik ohne bewußte Vorbereitung zu produzieren, ein „work in progress“ zu gestalten, kein festes Konzept abzuspulen, geraten seine Interpretation auf völlig „uncoole“ Weise emotional. In besten Momenten schafft es Lee, alles Intellektuelle abzustreifen und nur sein Gefühl sowie eine ganz besondere Art von spiritueller Zuwendung sprechen zu lassen.
Egal ob es sich um die Standards „Alone Together“ und „All The Things You Are“ oder die Wunsch-Komposition „Joana`s Waltz“ handelt – beide formen alles um, reharmonisieren, abstrahieren und reflektieren. Manchmal wirkt der Diskurs wie ein Männergespräch in der wärmenden Abendsonne, unterbrochen von längeren Monologen über Frauen, Essen, Einsamkeit oder einen Flug zum Mars.
Wie Lee Konitz und Frank Wunsch mit ihrem Stoff umgehen, verrät nicht nur Virtuosität, sondern das Talent zum Neubeginn im scheinbar Vertrauten, die Fähigkeit zur Verzweigung, Verästelung, Vertiefung. Das ist Rückschau und Ausblick, Jazz und Kammermusik, Arrangements und Improvisation, Bewußtes und Vages, Schwebendes und klare Linien. Zwei Stunden zwischen Licht und Dunkel. Oder: eine Brücke zwischen Nacht und Morgen. Sublime Ermutigungen für ein treues Publikum.