Gonzalo Rubalcaba Trio | 29.11.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Jazzpianisten gibt es wie Sand am Meer, und selbst solche, die ihr Handwerk trefflich verstehen, haben heute mitunter allergrößte Mühe, das Publikum aus den eigenen vier Wänden zu locken und vor einem angemessenen Auditorium auf offene Ohren zu stoßen. Wenn sich jedoch mal ein junger Kubaner von Weltruf anschickt, den Klavierdeckel in dieser dem Jazz normalerweise geneigten Region zu öffnen, so müßte ein solch mehr als ungewöhnlicher Kulturgipfel eigentlich zum hundertprozentigen Selbstläufer werden.

Doch die Gleichgültigkeit besitzt bei Konzerten, wie dem von Gonzalo Rubalcaba im Neuburger „Birdland“-Jazzclub beinahe schon System. Während das 34jährige, in die Jahre gekommene Wunderkind an den Tasten anderswo Säle bis auf den letzten Platz füllt, klafften am Wochenende im Hofapothekenkeller trotz starkem Besuches einige unübersehbare Lücken. Es muß sich doch selbst bis in diese Breitengrade nach dem für deutsche Verhältnisse heftigen Medienrummel herumgesprochen haben, daß dieser Rubalcaba als absoluter Fixstern am modernen Pianohimmel gilt.

Man muß es nehmen, wie es kommt. Wer zuhause blieb, verpaßte einen aufregend prickelnden, atmosphärisch dichten, schlichtweg grandiosen Trioabend an dem sich Rubalcaba wesentlich gereifter, offener und spielfreudiger zeigte, als noch bei seinen Auftritten 1989 in Ingolstadt (mit einer Fusiongruppe) und 1992 in Neuburg (solo). Schuld an der frappierenden Wandlung des vormals schüchternen, fast introvertiert wirkenden jungen Mannes mag die Abkehr von den beengenden sozialen und politischen Verhältnissen in Castros Militärdiktatur sein. Seit Rubalcaba durch Talent, Disziplin, Duchhaltevermögen und Kontakte der Sprung in die freie Welt des (amerikanischen) Jazz gelang, scheinen seine Ausdrucksmöglichkeiten sämtliche Grenzen niederzureißen.

Während man ihn früher oft zurecht des sterilen Technizismus zieh, leistet er sich heute genüßlich Pausen, atmet entspannt zwischen den Noten und läßt die spirituelle Kraft seiner hohen Anschlagskultur bewußt in den Raum fließen. Überraschend diesmal freilich die überwiegend lyrische Struktur der Improvisationen, die Gonzalo Rubalcaba mit fast zeitlupenartigen, fragilen pentatonischen Linien, getupftem Pianissimo und erstaunlicher Geläufigkeit konstruiert und in die der mächtige, ungemein delikat phrasierende Bassist Dennis Chambers ganz zart tastend eindringt. Die Zeit scheint stehenzubelieben und die Welt aus den Angeln zu springen.

Sein kongeniales Ensemble mit dem polyrhythmisch verschränkenden Drummer Ignacio Berroa lebt von der intensiven Kommunikation, von der harmonischen Öffnung und der Reharmonisation. Klug und voller brennender Leidenschaft seziert das Trio jedes einzelne Thema bis ins haarnadelgroße Detail, um es wieder zu einem zeitgemäßen, gleichwohl auf allen traditionellen Errungenschaften basierenden Bild zusammenzubauen.

Erst im letzten Titel zollt Rubalcaba seiner Herkunft Tribut. Vermutlich deswegen, weil er seine Kunst weniger mit dem klischeehaften Sammelbegriff „Salsa“ überschatten will, sondern sowohl die Volksmusik Kubas, wie auch den Swing der Yankees zu entwickeln, zu einen versucht. Und tatsächlich: nach 20 Takten entpuppt sich dieses hinreißend tanzbare, rauschhafte Ding als Ellingtons „Caravan“. Das atemberaubendste Stück, das je im „Birdland“ zur Aufführung kam. Der Gegenbeweis dürfte verdammt schwer fallen.