Lee Konitz – Frank Wunsch Duo | 13.12.1996

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ästhetik heißt das aktuelle Zauberwort, das vor allem in der Kultur gerne Verwendung findet, obwohl die meisten Formulierungsjongleure selten wissen, was es genau bedeutet. Oft wirklich schwer genug, aber manchmal doch wieder verblüffend einfach. Zum Beispiel, wenn einer wie Lee Konitz die Bühne des „Birdland“ Jazzclubs in Neuburg betritt und ohne große Gags, ohne exaltierte Gesten, ohne den Habitus des Superstars einfach nur sein Altsaxophon zu diesem Thema sprechen läßt.

Dabei ist Konitz sogar einer der stilbildensten Musiker, die der Jazz in seiner fast 100jährigen Geschichte überhaupt sah. Um 1950 wagte der stets nachdenkliche Mann aus Chicago mit Lennie Tristano den bis dahin größten Schritt innerhalb der modernen Musik. Er brach unantastbare Strukturen auf, experimentierte mit ungeraden Metren, arbeitete zunehmend motivisch, baute den Sockel für die spätere Avantgarde und ersann die karge Schönheit des Cool-Jazz. Obwohl seine Karriere mehr einer musikforscherischen, denn einer marketingdominierten Laufbahn glich, gilt Lee Konitz heute mit mittlerweile 69 Jahren immer noch als einer der wichtigsten Epigonen des Business, losgelöst von sämtlichen Stil-Kategorien. Was zählt, ist einzig seine allgemein gültige Definition des heißumkämpften Begriffs „Ästhetik“.

Vor allem das „Birdland“ kennt Lees Erklärungsversuche bereits seit Mitte der 80er. Viermal kam die Alto-Gallionsfigur schon an die Donau, weil sich dort angeblich einige seiner glühendsten Verehrer tummeln. Diesmal reduzierte sich Konitz zusammen mit seinem langjährigen Partner, dem Dortmunder Pianisten Frank Wunsch, bewußt auf die kleine Form des Duos. Nichts wirkt aufnotiert, geprobt. Alles bleibt dem berühmten „Moment of time“ überlassen, wenn das kongeniale Tandem seine Schleifen um Jazz-Klassiker wie „Loverman“ oder „Invitation“ zieht.

Beiden bei ihren „denkenden“ und doch wärmenden Improvisation zuzuhören, besitzt etwa die gleiche Faszination, als würde man zwei Zirkuskünstler auf einem Hochrad beobachten, die gerade ein Mobile bauen. Konitz bläst sein Saxophon akribisch, dünn, trocken – wie ein Federstrich, der über hartes Papier kratzt und spontane Gedanken niederschreibt. Seine innere Symmetrie, seine Ausgewogenheit, saugt Wunsch förmlich in sich auf. Der Pianist hört, reagiert, tippt die Tasten des Bösendorfer-Flügels in großen, lyrischen Akkordgriffen an oder greift zu Zitaten zeitgenössischer Klassiker wie Schönberg oder Webern.

Vor allem nach der Pause bewies das stille Duo, wieviel Blut tatsächlich durch „coole“ Stilistik fließen kann. Da warf Lee Konitz einmal seinen dünnen, klaren Ton in den offenen Flügel und formte exakt aus dem folgenden Widerhall seine nächste Motivkette. Als ob sich plötzlich die Mauer in eine andere Gefühlswelt öffnete; in die des freischwebenden und doch allzeit greifbaren Ideals.