Lakecia Benjamin Phoenix | 20.10.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Was soll man machen, wenn man Geburtstag hat und die Dinge eigentlich komplett anders laufen, als erwartet? Professionell bleiben, selbst wennʼs schwerfällt! Für Lakecia Benjamin bedeutet das nach mehrstündiger Autofahrt von Zagreb nach Neuburg beim Soundcheck erst einmal, die Gegebenheiten im Birdland-Jazzclub und die besonderen Umstände der Aufnahme für das 13. Birdland Radio Jazz Festival zu akzeptieren, die halt ein rein akustisches Konzert vorsehen. Hatte ihr das Management vorher so nicht mitgeteilt, obwohl die Verträge klar formuliert waren. Dass dann dennoch ein Konzert herauskommt, das die Besucher im brechend vollen Hofapothekenkeller unter Garantie noch lange in Erinnerung behalten werden, spricht für die amerikanische Altsaxofonisten, die als der Shootingstar des neuen Jazz gilt. Nach ihrem Neuburg-Gastspiel muss man sagen: absolut zu Recht!

Lakecia Benjamin hat an diesem Tag ihr 41. Lebensjahr vollendet, und dass es kein gebrauchter geworden ist, liegt vor allem an ihrer unstillbaren Lust an der Liveatmosphäre, an ihrer schwer kontrollierbaren, unbändigen Energie und an dem Gefühl, gerade mit Jazz einen Grad der Freiheit erlangt zu haben, den es so im Pop, Rock und anderen Genres nicht gibt. Die sportliche Instrumentalistin aus New York und ihre akkurat aufeinander abgestimmte, perfekt funktionierende Band namens Phoenix um den Pianisten Zaccai Curtis, den Bassisten Ivan Taylor und Drummer AJ Strickland legen pausenlos Flächenbrände im Gewölbe, in dem die Raumtemperatur längst sommerliche Dimensionen erreicht hat. Das Auditorium saugt jeden Ton, jeden Groove, jede Bewegung begierig auf, und wieder einmal spürt jeder diese sagenhaften, kaum zu beschreibenden „Vibes“, die nur dann entstehen, wenn der Keller brodelt und die Musik auf eine höhere Ebene hievt.

Als Vehikel dienen Benjamin und Co. dabei die Harmonielandschaften mit halbtaktigen Akkordwechseln, die ihr großen Vorbild John Coltrane einst elegant zum neuen Gütesiegel erhob. Mit dem Altsaxofon hat das vor ihr allerdings noch niemand probiert, diese heißeren Überblastricks, die elegischen Synkopen, diese retardierenden Patterns, die einen wie ein hypnotischer Kreisel immer tiefer in einen Sog hineinziehen. Eigens dafür hat die Frau mit der futuristischen Brille „Trane“ komponiert, eine siedend heiße, lavaähnliche Masse aus Noten und Tönen. Schöne Idee, den großen Frauen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts in Songs wie „Amerikkan Skin“ zu Ehren der schwarzen Bürgerrechtlerin Angela Davis zu huldigen. Diesen Song sowie das erhabene „Going Home“ oder den Klassiker „My Favorite Things“ interpretiert Lakecia Benjamin mit Verve und unverstellter Freude, wobei ihrem starken Phoenix-Fundament ein gewaltiger Verdienst am Gesamtbild zufällt.

Sie will eine Botschaft von globaler Freundschaft, Brüderlichkeit und Gleichheit aussenden, gleichzeitig aber auch ein Signal setzen, dass Frauen im Jazz weitaus mehr sein können, als nur adrette Mikrofonhalterinnen. Dafür bedient sie sich auch nach der Pause einmal mehr bei Übervater Coltrane, dem am hellsten strahlenden aller Saxofon-Götter. „Liberia“, „Central Park West“ und das übermächtige „A Love Supreme“ rotzt sie nicht einfach routiniert herunter, sondern entfacht ein Feuer der Leidenschaft und haucht ihnen mit flinken Läufen, heiseren Crys und frechen Intervallsprüngen neues Leben ein.

Irgendwann ist dann Schluss. Trotz minutenlanger Ovationen keine Zugabe vom Geburtstagskind, dem die Gäste zuvor noch ein Ständchen dargebracht hatten („Wer hat euch das erzählt?“). Schließlich muss sie tags darauf ja schon wieder in Bratislava auf der Bühne stehen und in ihr Saxofon blasen, als ob es kein Morgen gäbe. Auch im Jazz ist der Preis, ein Weltstar zu sein und diese Position zu halten, hoch.