Selten ist der Birdland Jazzclub so rappelvoll bis auf den letzten Stehplatz wie an diesem Abend. Liegt’s an Lakecia Benjamin, die gerne im Outfit des Paradiesvogels auf der Bühne steht? Das Auge hört schließlich auch mit. Liegt’s daran, dass sie dafür bekannt ist, sich in der Rolle der Verfechterin für Frauenrechte, als Kämpferin gegen Rassendiskriminierung, der Ruferin nach globalem Frieden Gehör zu verschaffen? Oder doch eher daran, dass sie so unheimlich gut mit dem Altsaxofon umgehen kann?
Die Erwartungen sind groß, das Publikum ist neugierig, der Bayerische Rundfunk ist vor Ort und schneidet das Konzert für das 13. Birdland Radio Jazz Festival mit, die Voraussetzungen sind also optimal für einen außergewöhnlichen Abend. Und ein solcher wird es denn auch. Zuerst kommt ein Urschrei von der Bühne. Vermutlich, um die Spannung zu lösen. Dann folgt „Amerikkan Skin“ vom aktuellen Album, das wie ihre Band „Phoenix“ heißt, gewidmet der Aktivistin Angela Davis, inklusive einer Rap-Sequenz, die schließlich in der Zeile „Peace All Over The Planet“ endet. Hier ist Benjamin durchaus politisch, Botschafterin für Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit und in guter Gesellschaft mit Vertretern von „Black Lives Matter“ und Kämpferinnen für „The Women’s Rights“.
Überraschenderweise verfolgt sie diese Spur anschließend nicht konsequent weiter. Ihr Zorn und ihre Unzufriedenheit bringt sie jetzt eher durch ihre Spielweise zum Ausdruck. Geprägt von einer Unzahl von Trillern, kann man sie nur als „extrovertiert“, vielleicht sogar als „explosiv“ bezeichnen. Ab und an überstürzen sich geradezu die akustischen Ereignisse, wird ihre Energie fast körperlich spürbar. Ihre exzellente Band mit Zaccia Curtis am Flügel, Ivan Taylor am Kontrabass und Enoch „EJ“ Strickland am Schlagzeug bietet ihr je nach Bedarf eine absolut verlässliche Basis auf swingender wie auch auf funky groovender Ebene, auf der sie sich nach Herzenslust austoben kann. Eine wunderschöne Solo-Übernahme des alten Hymnus „Going Home“ zeigt, dass sie auch mal kurz innehalten kann, im Mittelpunkt aber stehen das kraftvoll dahin surrende „Jubilation“, in dessen Verlauf Curtis der grandiosen Patrice Rushen von der Albumversion folgt, und John Coltrane’s „A Love Supreme“. Wenn ein Stück wie dieses von einer Band auf derart hohem Energielevel erst mal ins Rollen gebracht wird, gibt es nur noch schwerlich ein Halten.
Was Benjamin und die Band an diesem Abend bieten, ist musikalisch absolut überzeugend. Natürlich merkt man, dass Entertainment und Show für sie unbedingt mit zum Image gehören, Teil ihrer Bühnenpersönlichkeit sind, Teil ihres Rollenverständnisses. Insofern ist der Abend Konzert und zugleich Fest, an dem aber auch das aufgeschlossene Auditorium seinen Anteil hat. Ganz besonders, weil Lakecia Benjamin persönlich einen Grund zu feiern hat. Sie hat heute Geburtstag. Das Publikum, das das spitz gekriegt hat, singt für sie spontan, vielstimmig und aus voller Kehle ein herzliches „Happy Birthday“. Eine schöne Geste. Im Gegenzug verweigert sie jedwede Zugabe. Keine schöne Geste.
Nachzuhören ist das Konzert am Freitag, 15. Dezember, ab 23.05 Uhr in der „Jazztime“ auf BR4 Klassik und anschließend eine Woche lang in der BR-Mediathek.