Weg mit den Grenzen? Für Nationalisten und Reaktionäre wäre diese Vorstellung wohl eher gruselig, für Kulturschaffende nicht. Für den Schlagzeuger Jonas Burgwinkel, den Gitarristen Reinier Baas und den Organisten Kit Downes, die mit ihrem Projekt Deadeye zu Gast sind im Neuburger Birdland Jazzclub, schon gar nicht.
Ihrer Musik kann man sich von zwei Seiten nähern. Von der Seite des Jazz und der des Rock. Wobei solche Genrebezeichnungen zwar unverzichtbar sind, damit man weiß, um was es ungefähr geht, den drei Herren, die an diesem Abend so unerhört betörende, einzigartige und sinnliche Klänge von sich geben, scheinen sie freilich völlig egal zu sein. Hier leben Jazz und Rock zwar zusammen, aber in wilder Ehe, ohne viel mit dem Jazzrock der Siebziger zu tun zu haben. Bezugspunkte gibt es natürlich schon, gerade wenn man auf die Variante mit elektronisch verstärkten Tasteninstrumenten blickt. Man erinnert sich an Medeski Martin & Wood vor ein paar Jahren im Audi Forum, an den Wahnsinn von Niacin und die Organisten des Soul Jazz. Das ist die eine Seite. Aus der Gegen-richtung tauchen Bands der einst überaus progressiven Canterbury-Scene wie Egg, Henry Cow oder Hatfield & The North auf. Und nun also Dead Eye.
Griffig und gleichzeitig nicht wirklich greifbar, real und abgehoben, fragile Klangwölkchen und mächtige Schallwellen, kleinste Klangeinheiten und großflächige Gemälde, scharfe Kanten und weiche Linien, mehrere gleichzeitige Rhythmen, die sich auch noch gegenseitig überholen. Alles ist verwoben, zueinander in Kontrast gestellt, alles bedingt sich und prallt doch immer wieder ungebremst aufeinander. Band, Sound und Musik schlendern, schweben, stampfen, wabern, hüpfen. Lustvolles trödeln und rasante Raserei. Jazz? Rock? Ein noch namenloses neues Genre? Egal.
Burgwinkel ist ein Meister des kleinen Drum Kits und Baas ist ein Meister der E-Gitarre und ihrer Sounds. Und Downes ist der Kitt zwischen den beiden, der der Band allein durch den Klang seines Instruments ihren unvergleichlichen Charakter verleiht. Von einer Combo, die eine ihrer Kompositionen „The Dance Of Princess Discombobulatrix“ nennt, kann man im Grunde alles erwarten, darf das auch und wird nicht enttäuscht. Der Abend besteht aus drei überlangen Stücken – keines unter 20 Minuten – und ein paar Standards. „Wir haben noch nie einen Standard live gespielt“, sagt Burgwinkel, „heute machen wir das ganz einfach mal“. Man entscheidet sich für Joe Henderson’s „Black Narcissus“, wobei das Stück durch das Konzept des Trios und deren unorthodoxe Verarbeitung des Themas eine komplett neue Ausrichtung erfährt.
In der Zugabe dann der Höhepunkt des Konzerts. Der uralte amerikanische Folksong „The Wayfaring Stranger“ wird vor allem dank der Schlichtheit des Spiels von Reinier Baas zu einem Erlebnis. Selten trifft eine Nummer dermaßen ins Gefühlszentrum wie diese an diesem Abend. Große Momente und denkwürdige Konzerte gibt es immer wieder mal im Keller unter der ehemaligen Hofapotheke, einem wie diesem allerdings gebühren Superlative. Phänomenal? Sensationell? Unvergleichlich? Richtungsweisend? – Man suche sich was aus. Stimmt alles.