Jonas Burgwinkel „Deadeye“ | 14.10.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Weg mit den Grenzen? Für Nationalisten und Reaktionäre wäre diese Vorstellung wohl eher gruselig, für Kulturschaffende nicht. Für den Schlag­zeuger Jonas Burgwinkel, den Gitarristen Reinier Baas und den Organisten Kit Downes, die mit ihrem Projekt Deadeye zu Gast sind im Neuburger Birdland Jazzclub, schon gar nicht.

Ihrer Musik kann man sich von zwei Seiten nähern. Von der Seite des Jazz und der des Rock. Wobei solche Genre­bezeichnungen zwar unverzichtbar sind, damit man weiß, um was es ungefähr geht, den drei Herren, die an diesem Abend so unerhört betörende, einzigarti­ge und sinnliche Klänge von sich geben, scheinen sie freilich völlig egal zu sein. Hier leben Jazz und Rock zwar zusam­men, aber in wilder Ehe, ohne viel mit dem Jazzrock der Siebziger zu tun zu ha­ben. Bezugspunkte gibt es natürlich schon, gerade wenn man auf die Variante mit elektronisch verstärkten Tastenin­strumenten blickt. Man erinnert sich an Mede­ski Martin & Wood vor ein paar Jahren im Audi Forum, an den Wahnsinn von Niacin und die Organisten des Soul Jazz. Das ist die eine Seite. Aus der Ge­gen-richtung tauchen Bands der einst überaus progressiven Canterbury-Scene wie Egg, Henry Cow oder Hatfield & The North auf. Und nun also Dead Eye.

Griffig und gleichzeitig nicht wirklich greifbar, real und abgehoben, fragile Klangwölkchen und mächtige Schallwel­len, kleinste Klangeinheiten und großflä­chige Gemälde, scharfe Kanten und wei­che Linien, mehrere gleichzeitige Rhyth­men, die sich auch noch gegenseitig überholen. Alles ist verwoben, zueinan­der in Kontrast gestellt, alles bedingt sich und prallt doch immer wieder unge­bremst aufeinander. Band, Sound und Musik schlendern, schweben, stampfen, wabern, hüpfen. Lustvolles trödeln und ra­sante Raserei. Jazz? Rock? Ein noch na­menloses neues Genre? Egal.

Burgwinkel ist ein Meister des kleinen Drum Kits und Baas ist ein Meister der E-Gitarre und ihrer Sounds. Und Dow­nes ist der Kitt zwischen den beiden, der der Band allein durch den Klang seines Instruments ihren unvergleichlichen Charakter verleiht. Von einer Combo, die eine ihrer Kompositionen „The Dance Of Princess Discombobulatrix“ nennt, kann man im Grunde alles erwarten, darf das auch und wird nicht enttäuscht. Der Abend besteht aus drei überlangen Stü­cken – keines unter 20 Minuten – und ein paar Standards. „Wir haben noch nie einen Standard live gespielt“, sagt Burg­winkel, „heute machen wir das ganz ein­fach mal“. Man entscheidet sich für Joe Henderson’s „Black Narcissus“, wobei das Stück durch das Konzept des Trios und deren unorthodoxe Verarbeitung des Themas eine komplett neue Ausrichtung erfährt.

In der Zugabe dann der Höhepunkt des Konzerts. Der uralte amerikanische Folk­song „The Wayfaring Stranger“ wird vor allem dank der Schlichtheit des Spiels von Reinier Baas zu einem Erleb­nis. Sel­ten trifft eine Nummer dermaßen ins Ge­fühlszentrum wie diese an diesem Abend. Große Momente und denkwürdi­ge Konzerte gibt es immer wieder mal im Keller unter der ehemaligen Hofapo­theke, einem wie diesem allerdings ge­bühren Superlative. Phänomenal? Sensa­tionell? Un­vergleichlich? Richtungswei­send? – Man suche sich was aus. Stimmt alles.