Lajos Dudas Quartet | 26.09.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wenn schon, dann so! Kein wachsweiches, fadenscheiniges „Crossover“, weil es schlicht nicht funktioniert, Klassik und Jazz, diese völlig gegensätzlichen Stile, zu kreuzen. Lajos Dudas, der Protagonist des Eröffnungskonzertes der 55. Neuburger Barockkonzerte, weiß nur zu genau, dass alle Versuche, einen Konsens zwischen der streng aufnotierten und der weitgehend offenen Musik herzustellen, zum Scheitern verurteilt sein müssen – trotz, oder gerade wegen Jacques Loussiers Megaerfolg „Play Bach“.

Deshalb behandelt der 61-jährige ungarische Klarinettist Bach, wie ein guter Jazzmusiker eben seinen „Rohstoff“ behandelt: Er schmeißt ihn einfach in den nebligen Sumpf der Improvisation und wartet ab, was passiert. Ein zwar aus kausalen Zwängen heraus geborener, aber gerade wegen der daraus entstehenden Verweigerung an jede „Crossover“-Tendenz schlicht bemerkenswerter Schachzug, der zumindest den ersten Teil des mittlerweile dritten „Art Baroque“-Abends im „Birdland“-Jazzclub zum bislang gelungensten in dieser Serie erhob.

Dudas, den viele zurecht als den besten Jazzklarinettisten Europas bezeichnen und der am Budapester Béla-Bartók-Konservatorium sowie an der Franz-Liszt-Musikakademie studierte, versucht nicht erst, zusammenzubringen, was nicht zusammengehört. Der Meister und sein veritables Quartett stürzen sich vielmehr munter ins Klangabenteuer, getreu der alten Jazzerdevise: Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du es spielst.

So klingt „Bourreé“ nach der subtil adaptierten Einführung ins Thema wie einer der legendären Bebop-Sturmläufe im New Yorker „Minton`s Playhouse“, während die Band aus der Aria BWV 988 aus den Goldberg-Variationen einen simplen, aber unter die Haut gehenden Roadblues strickt. Auf die Spitze treibt es Dudas, als er Bach weiterdeuten, ihn „in die Gegenwart führen“ will. Der Titel „Bachs Gedenken“ ist dabei allenfalls ein Vehikel, das Ergebnis, eine aufregende, völlig offene Improvisation – Kostverächter würden es auch „Freejazz“ nennen – ernüchtert endgültig alle, die zuvor noch gehofft hatten, wenigstens einige winzige Klassikpartikel im Hofapothekenkeller auflesen zu können.

Dafür bekommen sie einen herrlich „anderen“ Jazzgig sowie viele wichtige Fingerzeige auf die zahlreichen Inspirationsquellen geboten, aus der diese uramerikanische Musikform inzwischen schöpft. Neben den „drei großen B`s“ (Dudas) Blues, Bartok und eben Bach sind dies im gleichen Maße ethnische Einflüsse. Das von einem schottischen Volkslied abgeleitete „Backwiser“ nach der Pause mit der schwebend-zickenden Gitarre des großartigen Philipp van Endert, der schnörkellosen Bassarbeit von Martin Gjakonowski und dem marschierenden Schlagzeug Kurt Bilkers mag als ein Beispiel gelten, die Reggae-Fassung von „All of me“ als ein anderes.

Inmitten des geröllartigen Interplays steht Dudas mit seinem warmen, lyrisch verhangenen Ton wie ein Fels. Ordnend, sanft dirigierend, fungiert er als Teil eines wie geschmiert laufenden Ganzen, inszeniert sich inzwischen nicht mehr selbst, sondern lässt sich wie seine jungen Gefährten vom Ergebnis überraschen. An diesem, vom Publikum umjubelten Abend liegt es klar auf der Hand: reiner, hervorragend interpretierter Jazz. Ohne jede Hintertüre.