Wer bis zu diesem Abend immer noch zur Kaste der Unwissenden gehörte, der bekam es vom Meister im Neuburger „Birdland“-Jazzclub höchstpersönlich und haarklein Ton für Ton unter die Nase gerieben: In punkto Virtuosität kann Lajos Dudas wirklich kaum jemand das Wasser reichen.
Aber anders als bei früheren Soundexkursen, wo dem noblen Schöngeist an der Klarinette nur das aller Schwerste wirklich gut genug war und er sich gerne als lebendiges Kunstobjekt inszenierte, ist Dudas heute deutlich spürbar darum bemüht, den Graben zu seinem Publikum zuzuschütten. Vielleicht mag es ja die Weisheit eines inzwischen geläuterten 60-Jährigen sein, vielleicht auch die durch die Globalisierung des Jazz einsetzende öffentliche Anerkennung nach Jahrzehnten der kollektiven Nichtbeachtung, die Dudas nun endlich seine bemerkenswerten Fähigkeiten so zur Geltung bringen lässt, wo sie auch die Ohren und Herzen der Menschen erreichen.
Vielleicht schafft es der in Neuss lebende, gebürtige Ungar gerade deshalb, die ganze schillernde Komplexität der Jazzklarinette zur Geltung zu bringen, weil er nicht mehr den unbedingten Druck verspürt, jede verfügbare Note in möglichst prägnanter Lautstärke zu spielen. Sein Ton besitzt inzwischen eine warme, lyrisch verhangene, manchmal klezmerartig verschleifte Note und scheint vor allem jetzt, da er sich zunehmend dem klassischen Swingideal annähert, mehr denn je eine Art Eigenleben innerhalb der Musik zu führen.
Dennoch würde man Lajos Dudas bitter Unrecht tun, wenn man ihn ob dieser wundersamen Wandlung nun gleich dorthin abschöbe, wo er eigentlich nie hin wollte: in die Ecke des Populismus. Zwar bedient er sich gerne bei Standards wie Brubecks „In your own sweet Way“ oder „Gloomy Sunday“, aber seine Lesart dieser klassischen Jazzstücke entfernt sich ganz bewusst von der gefährlichen Fünf-Uhr-Tee-Untermalung der anderen Klarinettenmuckel.
Eine ostinate Bassfigur (dienend, beinahe stoisch: Leroy Jones), ein fast nur mit den Besen bearbeitetes, zischelndes Schlagzeug (unauffällig: Kurt Bilker), eine dichte, spannende, schimmernde, dunkle Struktur, kein Bebop, eher Popbop: Dudas versteht alle Kniffe der musikalischen Dramaturgie. Er, der Techniker, Perfektionist und Ästhet, nähert sich den Melodien mit seinem schwierig zu blasenden Horn behände wie eine Schlange, umkreist sie, windet sich daran vorbei oder schlüpft mitten in sie hinein.
„Wir möchten die Leute zum Zuhören zwingen“, sagt er, dämpft einen ganzen Song lang die Lautstärke, würzt pikante Groove-Gerichte mit einem Spritzer Avantgarde, schlurft elegant als Tango-Eintänzer übers Parkett oder flirtet ungeniert mit dem Bachschen Kontrapunkt, die Klarinette danach nur widerwillig in gedrosselten Swing entlassend.
Während der Alleskönner mit reizvollen Originals unaufhörlich zu Höhenflügen ansetzt, verharrt dessen Mannschaft derweil konsequent auf sicherem Mainstreamboden. Am ehesten gelingt es noch Gitarrist Philipp van Endert mit rocklastigen Energieschüben, den Kontakt zum entschwebenden Boss zu halten. Einmal jedoch entschieden zu laut, zu kreischend, zu viel Scofield imitierend, was dem Boss sichtlich missfiel. Soll ja niemand glauben, dieser neue Lajos Dudas sei nur eine Eintagsfliege.