Kyoto | 04.04.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der Name „Kyoto“ steht im Großen für die Unterzeichnung des globalen Klimaschutzprotokolls – eine Sache, aus der sich die Amerikaner seit geraumer Zeit verabschiedet haben. Im Kleinen bedeutet „Kyoto“ aber auch ein multilaterales musikalisches Gruppenprojekt mit einem Deutschen, einem Österreicher und zwei Amerikanern.

Eine ebenso lockeres wie ernsthaftes Plädoyer für grenzenlose Begegnungen. Entsprechend agiert und argumentiert auch Bandleader Joe Locke, amerikanischer Staatsbürger aus Palo Alto und Vibrafonist, im Neuburger „Birdland“-Jazzclub. Er sei stolz, gerade jetzt in Deutschland spielen zu dürfen, „hier in einem der besten Jazzclubs der Welt“. Und lernen könnten die Politiker sowieso von dem Tenorsaxofonisten Johannes Enders aus Weilheim, dem Schlagzeuger Christian Salfellner aus Wien, dem Bassisten Ed Howard aus New York und ihm: nämlich wie es miteinander anstatt gegeneinander geht. „That`s what Jazz is all about“, sagt Locke, und jeder im Hofapothekenkeller nickt zustimmend.

Miteinander bedeutet kein Profilieren auf Kosten des Nebenmannes, keine martialischen Battles, bei denen einer den anderen von der Bühne blasen will, um selbst im Mittelpunkt zu stehen. „Kyoto“ lebt von Feinabstimmungen, von Nuancen, von Kommunikation, von einem gemeinsamen Ziel. Ein fiebriges, ständig unter Strom stehendes Quartett – Gleichstrom wohlgemerkt. Die Schwerpunkte wechseln allenfalls marginal, die Soli suchen förmlich nach dem Gleichklang mit den Freunden, ohne freilich ihre Identität zu verleugnen.

Bei Joe Locke liegt diese in einem herrlich (nach-) schwingenden Malletspiel voller Reife und überraschender Einfälle. Im Bündnis mit dem wandlungsfähigen, wuchtigen, warmen Tenor von Enders ergibt dies wunderschöne Klangbilder, die vor Spielfeuer nur so brennen oder atmosphärisch leicht in der Luft schweben, während Salfellner (manchmal ein wenig zu krachend) und Howard viele schmückende Ornamente beisteuern und virtuos um den Kontrapunkt kreisen. Einmal fliegen blasse Balladen voller Trauer, Leere und schwarzer Löcher durch den Raum („Empty Chalice“), dann setzt die Combo wieder zu atemlos rasenden Berg- und Talfahrten („Coincidence“) an.

Gerade mittels solch feinsinniger, erstaunlich uneigennützig strukturierter Kompositionen, die meist aus Lockes Feder stammen, vergrößert sich automatisch der gemeinsame Nenner. Es sind Themen, die in alle Richtungen ausmoduliert, gestreckt, gedehnt werden können, die jedem allen möglichen Raum zur Entfaltung bieten. „Kyoto“ wäre ein guter Ansatz für ein konfliktfreies Leben und Leben lassen. Im Kleinen, zwei Stunden lang vor einem staunenden Publikum, funktioniert es bereits prächtig.