Aki Takase „W. C. Handy Projekt“ | 28.03.2003

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Free Dixie – Wer es nicht mit eigenen Augen gesehen, mit eigenen Ohren gehört und im eigenen Bauch verspürt hat, wohl kaum hätte es jemand für möglich gehalten, dass sich die losen Enden der beiden Extreme des Jazz zum runden Ganzen verbinden lassen. Aki Takases „W.C.Handy Project“ im Birdland Jazzclub begeisterte Jung und Alt gleichermaßen. So liebenswürdig kann das Schreckgespenst der Jazz-Aventgarde sein.

Dabei ist es doch so einfach: Man muss nur in der Spur vorwärts gehen, die von den Altvorderen gebahnt worden ist. Die große Stärke des Jazz am Beginn seines Siegeszuges durch die Musikgeschichte des ersten Drittels des vorigen Jahrhunderts war schließlich die Kraft seiner kollektiven Improvisationslust. Durch deren Spontaneität und sinnenfreudige Kreativität wurden aus Melodien Erlebnisse, die die Menschen mehr und mehr in den Bann zogen. Wie eine Hot Five Band auf einer Drehorgel aus dem 21. Jahrhundert lotet die Crew um Aki Takase die klanglichen Möglichkeiten der Instrumente aus. Lautmalerei, schräger Blues und Plunger-Growls, singende Säge, Klingel, Pfeife und ein fröhlich klimperndes Banjo ergänzen Two-Beat-Stomps und freie Improvisation zu einer wunderbaren Kakophonie, bei der es den Zuhörern immer wieder so richtig warm ums Herz wird, wenn aus dem Chaos unversehens die wohlbekannten Melodien aus der Frühzeit des Jazz auftauchen. Eugene Chadbourne singt den Blues und lässt das Banjo squaredancen bis ihm Einhalt geboten wird von einem schmerzhaft lauten Schrei der Bassklarinette, die jede good old South-Romantik ohne Gnade zurückweist ins postmoderne Getümmel.

Da stehen also nebeneinander auf der Bühne Rudi Mahall und Nils Wogram mit zwei eher atypischen Soloinstrumenten, Bassklarinette und Posaune, und produzieren darauf Klänge, Läufe, Melodien, Kieckser und Quietscher, Hechler und Röchler, springen nur so über die Oktaven in galoppierenden Jagden durchs Mississippi-Delta und die Straßenschluchten Harlems, das Alles in lockerer Virtuosität und mit höchstgradigem Spaßfaktor. Eugene Chadbourne intoniert in unbeirrt fröhlicher Schräglage auf Banjo und Gitarre Pickings, Blues und Bottleneck-Slides, die der Verschwörung der Idioten alle Ehre machen. Paul Lovens am Schlagzeug treibt dazu unentwegt den Two-Beat voran, jedenfalls solange er nicht gerade selbst mit explosiven Überraschungseiern zu Gange ist. Initiatorin, prima inter pares, selbst zuweilen überraschte spiritus rectra und blitzgescheite Herrscherin über die Tastatur des Bösendorfers wie über alle Aspekte der Jazzgeschichte ist die japanische Pianistin Aki Takase. Sie zeichnet verantwortlich für den wohl sympathischsten Dekonstruktionsprozess, den der Neuburger Jazzclub bis dato gesehen hat. Nicht zuletzt Fats Waller, dessen skurrilem Humor die Fünf putzmunter auf frischer Fährte sind, hätte seine helle Freude gehabt.