Aki Takase „W. C. Handy Projekt“ | 28.03.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Willkommen in der Welt der genialen Wahnsinnigen, der lauten Vogelfreien, der stillen Träumer, der Witzigen und Mutigen, der Unterhalter und Provokateure. Willkommen in einem Käfig improvisierender Narren!

Nicht einer, nein, gleich fünf von dieser Sorte flogen im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zwei Stunden lang ausgiebig übers Kuckucksnest. Eine Band, wie sie skurriler nicht hätte zusammengewürfelt werden können. Ein Sammelsurium an Typen, ein musikalischer Rachenputzer, dessen Rezeptur auf den ersten Blick so inkompatibel erscheinen mag, wie Wurstsalat mit Erdbeermarmelade, die aber Gemüt, Gehirn und Gehörgang kräftig durchpustet und etwas wohltuend Reinigendes, etwas ganz und gar Befreiendes besitzt.

Vorhang auf: Da wäre zum einen der geheimnisvolle fernöstliche Vamp am Piano (Aki Takase). Irgendwie eine schizophrene Künstlerin, die zwischen stupender Technik, herrlich süffigen Strideläufen und chaotischen Clustern hin und her springt. Oder der begnadete Irre an der Bassklarinette (Rudi Mahal), das offenbar manisch depressive Riesentalent an der Posaune (Nils Wogram), die tumbe Figur mit den unkontrollierten Ausbrüchen am Schlagzeug (Paul Lovens) oder der postpubertäre, scheinbar in der oralen Phase stecken gebliebene Eugene Chadbourne an der Gitarre.

Und dann noch dieser hinterhältige Winkelzug, die Leute mit einem „St. Louis Blues“-Projekt in den Hofapothekenkeller zu locken, um sie mit einem unverblümten Freejazz-Defekt zu schocken. Beginnt alles relativ normal, swingt richtig gut, tänzelt. Bis aus dem fröhlichen Hüpfen ein programmiertes Stolpern, ein desorientiertes Taumeln und schließlich ein unkontrolliertes Trudeln wird.

Die Tempi wechseln so schnell, dass es das Gehirn kaum ordnen kann: Galopp, Sprint, Schleichgang. Die Fünf agieren wie eine Zirkuskapelle auf Entzug. Mahal zwitschert wie ein Vogel, Wogram grunzt wie ein vietnamesisches Warzenschwein, Lovens kratzt über das Drumset, als würde ein Geisterschiff aus der Kanalisation auftauchen. „Looking good but feeling bad“ heißt die alte New Orleans-Schmonzette von Fats Waller eigentlich, und irgendwie ist der 80 Jahre alte Titel schon wieder (neues) Programm.

Den kunstvoll geknüpften gordischen Knoten immer wieder virtuos zu zerschlagen: Das ist die Hauptaufgabe der Wahl-Berlinerin Takase. Die Chefin im Narrenkäfig flirtet mit reizvollen exotischen Formen unverblümt in der eher lustfeindlichen Welt des Freejazz, lässt aus blubbernden Sounds launige dixiehafte Seifenblasen auftauchen und mit übergroßer Lust zerplatzen. Welche Rolle spielt jedoch Eugene Chadbourne, der neue Gitarrist, in diesem kultivierten Hühnerhaufen? Der schwitzende, langmähnige Kerl mit der Stirnglatze und der dicken Hornbrille malträtiert seine Klampfe mit dem Ellenbogen wie noch keiner vor ihm und nölt dazu wie eine fleisch gewordene Comicfigur, dass Fats Waller im Grab wie eine Schiffsschraube rotiert hätte.

Gucken, hören, wundern. Die Hexenküche der multiplen Sounds hat geöffnet: Frau Takase legt Topfdeckel auf die Flügelsaiten oder wirft Tischtennisbälle in den Bauch des Instruments, Herr Lovens raschelt mit allen zur Verfügung stehenden Gehölzen, Wogram und Mahal (mit glöcknerhaftem Rundbuckel) tröten sich die Seele aus dem Leib, und was Mister Chadbourne macht, weiß sowieso keiner so ganz genau.

„The Joint is jumping“ oder „Ain`t misbehavin“ – man mag es kaum glauben. Aber irgendwann fädelt jedes Geflatter, Geflirr und Gewimmer wieder in einen richtig schönen New Orleans Stride ein. Das ist Entertainment auf absolut hohem Niveau, die längst überfällige Emanzipation der Avantgarde, ein Klammer zwischen gestern und morgen. Und die Erkenntnis: Nicht nur der musikalische Gourmet liebt nun Wurstsalat mit Erdbeermarmelade.