Klemens Marktl’s New York Quartet | 14.10.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Sein Wesen stand ihm zeitlebens im Weg. Zurückhaltend, introvertiert, fast menschenscheu gab er sich, ließ lieber seine extrovertierte Frau reden, während er sich allenfalls über den Flügel mitzuteilen pflegte.

Der Jazzpianist Tommy Flanagan (1930 bis 2001) war weder Rebell noch Trendsetter. Er mochte nie verändern oder aufbegehren, sondern einfach nur dabei sein, am Entwicklungsprozess dieser faszinierenden Musik, als klitzekleines Rädchen. Aber weil das Rädchen von Anfang an wie geschmiert lief, sich aufgrund seiner immensen Befähigungen mühelos jedem Tempo, jeder Veränderung anpassen konnte, entwickelte es sich schnell zum großen Schwungrad, ohne das bald überhaupt nichts mehr ging. Kritiker nannten Flanagan einen „Sideman for all Seasons“, weil er in jeder Band einsteigen konnte und dieser zu bereichern verstand, ohne dabei gleich dem jeweiligen Boss die Schau zu stehlen. „Ich kannte meine Rolle,“ analysierte Flanagan einmal in Neuburg weise lächelnd seinen Platz im Off.

1994 und 1999 gastierte der aus Detroit stammende Pianist im „Birdland“-Jazzclub. Das Ambiente und die Stadt liebten Flanagan und seine Gattin Diana über alles, sie nahmen sich stets über das Konzert hinaus Zeit, Gegend und Leute kennen zu lernen. Und die Neuburger liebten auch Flanagan. Die Hulding geht bis weit über seinen Tod vor vier Jahren hinaus. Ab dem morgigen Freitag nämlich veranstaltet das „Birdland“ zum zweiten Mal nach 2003 (Attila Zoller) ein Mini-Festival zu Ehren eines chronisch vernachlässigten Musikers mit einer ganz besonderen Beziehung zur Ottheinrichstadt. Europäische Tastenkollegen unterschiedlichster Herkunft wollen mit Unterstützung der Bernhard Riepl-Stiftung an zwei Wochenenden im Keller unter der Hofapotheke Tommy Flanagan auf ihre Weise Tribut zollen – durch ein Höchstmaß an Vielseitig- und Farbigkeit.

Denn der freundlich lächelnde Gentleman fand sich überall zurecht, ohne dabei gleich zum Chamäleon zu mutieren und sein Gesicht zu verlieren. Für die große Ella Fitzgerald bediente er 16 Jahre die Tasten, mit Sonny Rollins spielte er den Jazzklassiker „Saxophone Colossus“ ein, mit John Coltrane den Meilenstein „Giant Steps“. Miles Davis holte ihn, Coleman Hawkins, Dexter Gordon, Harry Edison, Roy Eldridge, Wes Montgomery, Charles Mingus, Art Pepper, Gerry Mulligan und Benny Carter schmückten sich mit der delikaten Eleganz seiner Singlenotes und dieser poetisch-swingenden Erzählstruktur. Alles, was Tommy Flanagan im Laufe seiner 50-jährigen Karriere anfasste, gelang höchst professionell und anspruchsvoll.

Niemand freilich fragte sich zu Lebzeiten, warum seiner Entscheidung, erst 1980 als Leader in Erscheinung zu treten, ein so quälend langer Prozess der Selbstprüfung voranging. In der Umgebung eines Pianotrios sah Flanagan sein künstlerisches Endziel erreicht, wobei er gerade hier subtile Wege der instrumentalen Kommunikation beschritt, die zuvor niemand betreten hatte.

Für die Protagonisten des „Tribute To Tommy Flanagan“ ist dieser Leitgedanke Verpflichtung. Am morgigen Freitag eröffnet das Trio des italienischen Klavierakrobaten Antonio Farao, am Samstag, 22. Oktober kommt der russische Exzentriker Simon Nabatov (mit dem Cellisten Ernst Reijseger) und am Sonntag, 23. Oktober gastiert das junge Nachwuchstalent Zoran Terzic mit seinem Trio.

Ein absoluter Höhepunkt folgt am Freitag, 28. Oktober, wenn mit dem Matthias Wollny, Eva Kruse (bass) und Eric Schaefer (Drums) das derzeit angesagteste Klaviertriumvirat Deutschlands nach Neuburg kommt. Den furiosen Schlusspunkt setzt dann am Samstag, 29. Oktober, der virtuose französische Kraftmeier Michel Pilc. Eine Auswahl, die Tommy Flanagan mit Sicherheit gefallen hätten.