Bill Stewart Trio | 01.10.2005

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Das ist der Jazz des 21. Jahrhunderts! Wer sich vielleicht gefragt hatte, ob eine solche Besetzung überhaupt zusammen passt, hört und fühlt alsbald: Und ob! Klavier, Hammondorgel und Schlagzeug, geradeaus, funky und livehaftig. Kevin Hays, Larry Goldings und Bill Stewart setzten wahre Energiewolken frei im Birdland Jazzclub, zeigen, was es auf sich haben kann mit dem Jazz von heute.

50 Jahre ist es nun her, dass Jimmy Smith die Hammondorgel für den Jazz entdeckte. Vor ihm hatte einzig Fats Waller Nennenwertes auf dem Instrument zustande gebracht, für das Laurens Hammond im Januar 1934 das Patent eingereicht hatte. Ein Ungetüm damals, von dem es seit kurzem eine Portable-Version gibt, die mit allem drum und dran nur noch schlappe 116 kg wiegt, der guten alten Original-B3 mit ihren elektromagnetischen Spulen klanglich aber in Nichts nachsteht. Larry Goldings gehört zu den profiliertesten Nachfolgern Jimmy Smiths, entlockt seiner B3-Portable variable Sounds, Groove und einfallsreich dahingeisternde Melodielinien, die wirken wie sich materialisierende Irrlichter. Kevin Hays spielt dazu den Bösendorfer mit perkussiver Gewissenhaftigkeit, bringt mit dem Fender Rhodes in bisweilen direktem Dialog mit dem Flügel noch ein drittes Tasteninstrument ein ins Sound-Reiben von B3 und Piano, janusköpfig, ironisch, fast ein bisschen hinterhältig zuweilen im Spiel mit dem schönen Schein. Bill Stewart sitzt am Schlagzeug in der Mitte der Bühne zwischen den beiden Tastateuren, lässt das Metall ins Mikrophon singen bei einem Solo, das sich minutenlang auf’s klangliche Erforschen der Becken konzentriert, dann langsam Snare und Tom-Toms einbezieht, schließlich die Bassdrum, so aus den Teilen des Sets ein Ganzes entstehen lässt wie ein Künstler, der ein Hinterglasbild malt und mit den feinsten Strichen beginnt, gleichwohl auf den Hintergrund noch größte Sorgfalt verwendet.

Melodisch, harmonisch, rhythmisch, elastisch – Bill Stewart ist einer jener Schlagzeugerneuerer, von denen der Pianist Jason Moran, der vor wenigen Wochen an gleicher Stelle spielte, im Interview sagt, sie seien es, die dem Jazz derzeit die meisten innovativen Impulse geben. Förmliche Gewitter davon gibt’s im Birdland an diesem Abend, die zu ekstatischer Begeisterung ebenso führen wie sie bei einem Teil des Publikums ratloses Fluchtverhalten auslösen. „How Long Is Jazz?“ Dabei beherrscht das Trio die Kunst der Kommunikation wie die der Rhythmisierung von Spannung und Entspannung perfekt, mischt knackige Grooves aus Funky-Town mit spacigen Sounds aus Rhodes und Hammond, kirchenorgelnde Fülle brausender Leslies mit gläsernen Splittern vom Flügel, impressionistische oder romantische Oasen mit schwerem Steinschlag: „Divine Intervention!“ Tief durchatmen und genießen. Wir sind auf dem Weg zurück in die Zukunft.