Klaus Doldinger New York Quintet | 21.11.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es ist lange her, dass Klaus Doldinger für Gesprächsstoff sorgte. Mit der glatten Funktionsmusik seiner Formation „Passport“ lupfte er zuletzt keinen echten Jazzfan mehr aus dem Ohrensessel. Und weil sich Deutschlands Vorzeige-Filmkomponist („Das Boot“) inzwischen als Musiker von der heimischen Szene weitgehend ausgegrenzt fühlt, klagt er in Interviews bitter über die angebliche Amerika-Hörigkeit von deutschen Jazzfans, – veranstaltern und -jounalisten.

Warum den Teufel also nicht gleich mit dem Beelzebub austreiben? Der Hardbop-Veteran und Fusion-Pionier rekrutierte einfach in New York, dem zeitlosen Schmelztiegel des Modern Jazz, eine junge Mannschaft, um einer alten Leidenschaft (und dem Trend) zu folgen. Wurzelsuche oder der Segen der Veränderung? Völlig egal. Doldinger ist wieder ein Jazzthema, spaltet fröhlich wie ehedem die Lager zwischen Jazznörglern und Jazzenthusiasten und spielt in lauschigen Jazzclubs, wie jetzt dem ausverkauften Neuburger „Birdland“.

Zweifellos ein Comeback im künstlerischen Sinn. Aber braucht die aktuelle Szene tatsächlich noch das alternde Denkmal Klaus Doldinger, den passablen, weitgehend auf Licks fixierten Saxofonisten, den Nostalgiker und gnadenlosen Selbstdarsteller mit seinen minutenlangen Erzähl- und Verklärungsversuchen zwischen den einzelnen Stücken? Die Frage objektiv und ohne die übliche Doldinger-Häme zu beantworten, fällt angesichts der enormen Verdienste des Tausendsassas mit dem unerschöpflichen Ideenfundus schwer.

Da steht er nun auf der Bühne und wirkt anfangs wie ein Fremdkörper inmitten seiner sturmerprobten, prominenten Band. Der hochtalentierte Vibrafonist Stefon Harris etwa, ein lockerer, galanter, farbenreicher Erneuerer seines Instrumentes. Oder der entrückte, in Herbie Hancocks modalen Sphären schwebende Pianist Kevin Hays, der zentrifugal agierende Bassist Ira Coleman, der mit allen amtlichen Rhythmen infizierte Perkussionist Don Alias, diesmal am Schlagzeug. „Blind Date“ lautet der Name des Openers, und entsprechend klingt es: rumpelnd, brüchig, schwerfällig ohne erkennbare Bindung im und zum Ensemble.

Doldingers Kompositionen bewegen sich überwiegend im mittelschnellen Tempo, wirken wehmütig, melodiös kaum memorabel, aber deswegen noch längst nicht altersschwach. Irgendwie balanciert er am Tenor und am Curve-Soprano zwischen allen Stühlen, hangelt sich mit seinem erfahrungsgesättigten Ton geschickt zwischen Expressivität und Nonchalance. Die neuen New Yorker Freunde ziehen unscheinbar die Fäden, stopfen mit jedem Stück mehr die Löcher, so dass sich bald ein feines, durchaus prickelndes Mainstream-Konzert entwickelt.

Das quirlige „East River Drive“, das sperrige „Stop And Go“ – beides akustische Skizzen aus dem „Big Apple“ – oder die sehnsüchtige Ballade „What`s New“: sie alle verblassten jedoch völlig gegen den heimlichen Höhepunkt des Abends. Ohne Vorwarnung nahm Doldinger eine winzige Blockflöte zur Hand, wies Don Alias (zuvor viel zu basstrommellastig) endlich an seine angestammten Congas. Harris verzog sich hinters Drumset, Hays griff beherzt in die Eingeweide des Flügels, während Coleman seine fülligen Linien über die kreiselnde Melange schlängeln ließ. It`s session time!

„Er blies bloß Blues“ taufte er das kleine, spontane, lustvoll kredenzte 15minütige Ding, das dem begeisterten Publikum schlagartig vor Augen führte, welche Ausnahmeerscheinung Klaus Doldinger selbst 1999 immer noch darstellen kann, wenn er nur den Mut fasst, sich ohne den Schutz seiner sattsam bekannten Schablonen in den schwerelosen Raum der improvisierten Musik fallen zu lassen. Reife Leistung!