Kenny Barron Quintet | 21.02.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Regelmäßig ist die amerikanische Ostküste Zielgebiet tropi­scher Wirbelstürme. In diesem Fall aller­dings hat ein Orkan in dieser Region sei­nen Ausgangspunkt. Kenny Barron aus Philadelphia und sein Quintett sind die Ursache. Ein Birdland-Konzert an einem Dienstag widerspricht völlig den ortsüb­lichen Gepflogenheiten, selten war eine Veranstaltung dort so schnell ausverkauft wie diese, selten war die Zahl der Presse­fotografen im kleinen Club so groß. All das verwundert nicht. Es ist nun mal ein besonderes Ereignis, wenn eine der ganz großen Adressen im Jazz zu Gast ist und der betreffende Künstler überdies nur drei Konzerte in Europa gibt. Neuburg, Mailand, Paris.

Barron ist einer der wenigen Pianisten, die die komplette Geschichte und alle Spielformen des Jazz drauf haben. Ken­ner der Materie halten ihn schlichtweg für den besten Jazzpianisten der Gegen­wart. Dass der bescheidene, freundliche Herr sich nur die Besten als Mitstreiter in sein Quintett holt, versteht sich von selbst. Immanuel Wilkins (Altsaxofon), der seine markanten, stringenten, über­aus direkten Soli geradezu in Stein mei­ßelt, Johnathan Blake (Schlagzeug), der stoisch hinter seinen Trommeln sitzt und seine Schläge wie Salven aus den Hand­gelenken abfeuert, Steve Nelson (Vibra­fonist), der nach Erledigung der Basisar­beit im Anschluss an die Themenvorstel­lung regelrecht explodiert und schließ­lich Kiyoshi Kitagawa (Kontrabass) aus Osaka, der als Fels in der Brandung fun­giert und gleichzeitig für eine unglaub­lich elastische und federnde Basis sorgt. – Was für eine Traumband!

„Wir fangen mal mit ‚Footprints‘ von Wayne Shorter an“, sagt Barron zu Be­ginn. „Damit wir uns einstimmen kön­nen.“ – Einstimmen? Von wegen. Augen­blicklicht bricht der Sturm los, weiß man als Augen- und Ohrenzeuge stellenweise nicht, von welchem Solisten man meis­ten beeindruckt sein soll. Am intensivs­ten freilich ist es dann, wenn die Band innehält, im Auge des Orkans so­zusagen, in den kurzen Passagen, in de­nen Barron alleine am Flügel sitzt und in einem Medley aus Duke Ellington/Billy Stray­horn-Stücken und später bei Abdullah Ibrahim’s „The Mountain“ wie unter dem Brennglas die Essenz seiner unglaubli­che Vielfalt bündelt und auf den Punkt bringt. Neben all der Umtriebigkeit bei Kompositionen wie „Blues On Stratford Road“ oder „Tragic Magic“ gehen diese intimen Passgen am meisten zu Herzen, offenbaren am deutlichsten die tiefe Emotionalität hinter seinem Tun, die wahre Seele Barron’s.

Zum Ende hin erklärt er, zur allgemei­nen Überraschung der Anwesenden, man werde sich ja bald hier im Birdland wie­der sehen. Das ist keine leere Schluss­floskel, sondern Tatsache. Am Dienstag, 25. April, bereits wird er mit seinem Trio gastieren und im Oktober dann als Solist. So will das Birdland diesen Granden des Jazz mit drei völlig unterschiedlichen Konzerten in all seinen Facetten, in all seiner Vielfältigkeit vorstellen. Als Ge­schenk zu dessen Achtzigstem sozusagen und zur Freude aller Jazzfreunde weit und breit. Ein absolut einzigartiges Vor­haben, in der Tat, aber die Chemie zwi­schen Barron und dem Birdland scheint einfach zu stimmen. Nach diesem sensa­tionellen Konzert im Quintett-Format lo­gischerweise noch mehr als je zuvor.