Kenny Barron – Dave Holland Duo | 06.05.2014

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Wie ein Bassist doch die gesamte Klangfarbenpalette eines Pianisten beeinflussen kann! Als Kenny Barron vor 16 Jahren mit dem empfindsamen Tieftöner Charlie Haden im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zu Gast war, da fielen die Noten wie Schneeflocken vom Himmel. Diesmal kommt der Amerikaner Barron, dessen subtile Gestaltungskraft an den Tasten einer breiten Öffentlichkeit erst seit dem Schwanengesang von Stan Getz ein Begriff ist, mit dem virilen Engländer Dave Holland, der unter Miles Davisʼ Fittichen zum Weltstar reifte.

Kein Vergleich zum Vorgängermodell der Marke „Legenden-Duo“, kein bloßes Verharren im eintönigen kammermusikalischen Modus. Beide haken sich unter und marschieren einfach los; swingend, trabend, aufgeladen mit unter der Oberfläche brodelnder Energie, ohne sich auch nur zu einer Sekunde in irgendwelchen überschwänglichen Ausbrüchen zu verlieren. Ein Gipfeltreffen zweier Stilbildner des modernen Jazz-Traditionalismus, wie es abwechslungsreicher kaum sein könnte. Das einzige Deutschland-Konzert des 70-jährigen Wunderpianisten und der 67-jährigen Bass-Instanz, das den Hofapothekenkeller sogar unter der Woche ausverkauft. Und es bietet eine dramaturgische Bandbreite, wie sie normalerweise nur ein gestandenes Orchester verfügt.

Vor allem Kenny Barron liebt solche Intermezzi, die unmittelbaren Dialoge mit gleichberechtigten Partnern. Dabei braucht er keine Muskeln spielen lassen, muss nicht um jeden Preis glänzen, sondern kann einem prächtig aufgelegten Dave Holland auch minutenlang die Melodieführung seiner traumhaften Ballade „Rain“ überlassen. Dem musikalischen Tandem geht es in erster Linie um ein Gesamtkunstwerk, um ihre ureigene Definition des Begriffes „Schönheit“, aber auch um Spaß. Jeder nimmt Platz im Kopf des anderen, dabei verbinden sie ihre Gedanken zu einem mächtigen Fluss.

Die Resultate überraschen stets aufs Neue. Weil Holland seine Komposition „Pass It On“ einem Drummer gewidmet hat, rollt der Beat unmerklich zwischen beiden Antipoden wie die Räder einer Lokomotive. Ein tonnenschwerer Blues erlangt zwischen ihren Fingern eine geradezu beglückende Leichtigkeit, gemeinsame Lieblings-Standards wie Billy Strayhorns relativ unbekanntes „Daydream“ oder Charlie Parkers „Segment“ erfahren durch die beiden eine Art instrumentale Seligsprechung.

Hereinspaziert ins Ohrenkino. Jeder besitzt eine Karte für einen Film, der in New York, Chicago, Hongkong, Paris oder auch in Berlin spielen könnte. Gangster, Lebemänner, schöne Frauen, gescheiterte Existenzen. Regen prasselt auf Rinnsteine, Dunst steigt aus der Kanalisation auf, Stimmen dringen aus den Kneipen. Mal ist es dunkel, mal hell. Barron und Holland modellieren ihren Soundtrack aus pulsierenden, gänsehauterzeugenden Harmonien voller komplexer Winkelzüge. Zwei Stunden Dauerlächeln bei den Musikern wie auch beim Publikum, das sich in einigen Phasen sogar zum wohligen Grinsen entwickelt: Einen derart hohen Grad der Zufriedenheit erleben selbst „Birdland“-Stammgäste höchst selten.